Hamburg
On the Origins of the 21st Century or the Fall of Communism as Seen in Gay Pornography
Kunstverein 13.09.2025–11.01.2026
von Rainer Unruh
Der Titel weckt Neugier, aber auch ein wenig Skepsis: Welche Art von bildender Kunst soll das leisten, was Jean-Luc Godard in seinem Kurzfilm De l’origine du XXIe siècle (2000) erreicht hat, eine virtuos komponierte Collage aus Spielfilm- und Dokumentarfilmsequenzen, die wie eine seismische Sonde die Beben des 20. Jahrhunderts registriert? Müsste man da nicht ganz oben ansetzen, bei Picassos Guernica etwa? Der Hamburger Kunstverein geht einen anderen Weg. Er stellt Godards Meisterwerk einen anderen Film zur Seite, nämlich The Fall of Communism as Seen in Gay Pornography (1998) von William E. Jones. Der US-Regisseur arbeitet wie Godard mit Found Footage, Gewalt und Erotik spielen bei ihm ebenfalls eine Rolle, aber da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Godard schneidet rasend schnell, er führt Bewegungen über den Cut hinweg, er lässt Farben wie ein Maler glühen, vor allem aber weitet er den Blick auf die ganze Welt der Bilder und ihre Geschichte, dokumentarische wie fiktive. Jones ist in seiner Bildsprache langsamer, weniger interventionistisch und in seinen Filmen obsessiv auf die visuelle Kultur der Gay Community fokussiert. Diese Strenge hat ihren eigenen Reiz, aber wirkt im Vergleich zu Godards überschäumender Kreativität wie ein Champagner, der zu wenig perlt.
Auf das Feuerwerk filmischer Fantasie des Franzosen folgt im Erdgeschoss erst einmal die Ernüchterung. Um die zentrale Säule herum ist ein umlaufender Tisch gebaut, der an die Möblierung eines Seminarraums erinnert. Bücher, Zeitschriften und…