Istanbul
Under Pressure Above Water
Arter 12.06.2025–11.01.2026
von Ingo Arend
Zwei ausgestreckte Hände mit gespreizten Fingern aus weißem Gips, um die ein goldener Stacheldraht gewickelt ist. Selfmade – die Arbeit der Künstlerin Mariana Vassileva im Istanbuler Kunstmuseum Arter stammt schon aus dem Jahr 2011, könnte aber kaum symbolischer für die Lage der Künste derzeit weltweit sein. Under Pressure Above Water, der Titel der Ausstellung von gerade einmal 33 Arbeiten von 15 Künstler*innen, erwähnt die Türkei, das von politischem Druck geschüttelte Land, in dem sie stattfindet, oder irgendeinen anderen, konkreten Krisenherd der Erde mit keinem Wort. Eher geht es der von der Istanbuler Kuratorin Nilüfer Şaşmazer kuratierten Schau um den Zustand permanenten Drucks, dem alle Menschen auf der ganzen Welt ausgesetzt sind.
Der Passepartout-Charakter der Arbeiten legt es aber nahe, sie auch auf die Situation vor Ort zu beziehen. Alicja Kwades auf das Äußerste gebogene Holzpalette mit dem Titel Used and Tired im Erdgeschoss des Museums steht für diesen derzeit ubiquitären Modus der Existenz. Die umwickelten Hände in Vassilevas Skulptur lassen sich als die eingeschränkte Reichweite der Existenz lesen und als die Gefahr, sich zu verletzen. So mühelos, wie die aus der Wand ragenden Finger den Stacheldraht wie Wolle aber auch zu bewegen scheinen, wird die Kleinplastik aber auch zu einem Symbol für die Fähigkeit, die gefährlichen Verhältnisse gleichsam um die Finger zu wickeln oder zumindest geschickt mit ihnen umzugehen. Istanbul gab in diesem (Kunst-)Herbst ein exemplarisches Beispiel für diesen Drahtseilakt ab. Kaum ein Tag, an dem nicht Menschen aus heiterem Himmel dutzendweise verhaftet,…
