Gelungener Auftakt von Art Basel und Satellitenmessen

18. Juni 2025 · Messen & Märkte

von Julia Stellmann

Alljährlich flutet das Kunstpublikum anlässlich der Messe das idyllisch am Rhein gelegene Basel. Der Messevorplatz wird dabei von wechselnden künstlerischen Positionen in einer großformatigen Installation bespielt. In diesem Jahr besprühte Katharina Grosse mit industrieller Spritzpistole den Platz, Brunnen und das Messegebäude mit ihren charakteristischen Schlieren in Rot und Weiß. Trotz anfänglicher Skepsis, je länger man am Platz verweilte, konnte die Arbeit ihren immersiven Charakter entfalten, fühlte man sich wie auf einem anderen Planeten angekommen.

Den Auftakt der Kunstwoche machte zum vierten Mal in Folge der Basel Social Club mit seiner Eröffnung bereits am Sonntag. Nachdem sich der BSC mit den ersten beiden Ausgaben in einer alten Stadtvilla in Bruderholz und einer ausgedienten Mayonnaise Fabrik als hippes Szene-Event zum Must See etabliert hatte, blieb er bei der vergangenen Ausgabe mitten auf dem Land hinter den Erwartungen zurück.

Nun kehrt der BSC, der längst kein Geheimtipp mehr ist, gleich ins Herz der Innenstadt zurück. Unmittelbar hinter dem Basler Münster, auf einer der ältesten Straßen der Stadt bezieht er das Gebäude der ehemaligen privaten Bank Vontobel in Grossbasel. Über eine Treppe betritt das interessierte Publikum das herrschaftliche Gebäude und findet in über 100 Räumen innerhalb von drei zusammenhängenden Bürgerhäusern Arbeiten von 500 verschiedenen Künstler*innen vor, welche passend zum Austragungsort von Handel und Finanzen inspiriert sind. Vom Keller bis in den Dachstuhl sind die ortsspezifisch konzipierten Werke verteilt, bespielen jede noch so kleine Abstellkammer – bis hin zur Toilette. Gleich mehrere Treppen geht es wahlweise hinauf oder hinunter, sodass sich schnell die Orientierung innerhalb des labyrinthisch angelegten Ortes verlieren lässt. Bei Betreten eines jeden Raumes findet sich das Publikum in völlig neuem Setting wieder, wenn es durch Billardzimmer, Wellness Oase, vorbei am Black-Jack-Tisch und durch ein Tattoo-Studio schreitet. Der BSC ist schließlich bekannt für sein ausgedehntes Performance-Programm, bei welchem das Publikum teils partizipativ involviert wird. Das Finanz-Thema wird besonders beim Jeff Koons Special Sale offenbar, innerhalb dessen drei Performer für Koons charakteristische Ballon-Hunde fertigen.

Ein besonderes Highlight bildet zudem der ehemalige Tresorraum, der nun nach vorheriger Einführung und mit Sanduhr gemessener Aufenthaltsdauer Schmuck historischer sowie zeitgenössischer Künstler*innen bereithält. Der Schmuck darf nach vorheriger Anmeldung sogar anprobiert und erworben werden. Besonders sehenswert sind darüber hinaus zum Beispiel eine Installation von Sandra Knecht mit Eisskulptur und Figuren aus Schokolade auf dem hölzernen Tisch umgeben von auf Wandtapeten aufgebrachten Jagdszenen. Allein sensorisch entfaltet sich der Geruch von Schokolade geradezu verführerisch. Inhaltlich nimmt die Künstlerin anhand der schmelzenden Skulpturen von Schweinen und Gartenzwergen Bezug auf das Thema Heimat, scheint der Duft erster Vorbote eines durch Konsum hervorgerufenen Abgesangs auf die Welt. Ganz oben im Dachstuhl findet sich schließlich nicht nur das Zusammenspiel von einer Lichtskulptur von Tai Shani, die sich in Lucie Stahls Drucken von Maschinenmenschen (8.500€ das Stück) spiegelt, sondern insbesondere auch eine allein über eine schmale Treppe erreichbare Installation von Sophie Jung. Auf einer Kommode befindlich tragen zwei einander zugewandte Mannequins ausgestopfte Tierköpfe auf ihren eigenen beschnittenen Häuptern. Fuchs und Yorkshire Terrier fletschen aggressiv die Zähne, scheinen nur darauf zu warten, sich loszureißen und das Publikum anzufallen. Sie kosten ebenfalls 8.500 Euro und sind Teil eines ganzen Ensembles aus Jungs Puppentheater im BSC.

Der BSC hat sich nicht nur zum Szenetreff, sondern auch zu DER Gegenveranstaltung zur Art Basel etabliert. Er ist mittlerweile zu dem geworden, was einst der Liste zugeschrieben wurde: jung und experimentell. Letztere feiert in diesem Jahr mit neuer Direktorin Nikola Dietrich und neuem Ausstellungsdesign ihr 30-jähriges Jubiläum. Trotz der Neuerungen ist ihr das Alter jedoch anzumerken, lassen sich nur wenig Neuentdeckungen machen und sind längst viele etablierte Galerien Teil des Programms. Angewachsen auf 99 Galerien aus 31 Ländern sind diese nicht mehr konzentrisch angeordnet, sondern in spiegelbildlich angelegten Reihen. Schokolade scheint derzeit im Trend zu liegen, findet sich neben Knecht beim BSC eine nussige Variante von Shaun Motsi beim Brüsseler Kin. Bezüglich der Materialität können auch die beinah weich anmutenden Skulpturen und Reliefs von Ferdinand Evaldsson bei Coulisse Gallery aus Stockholm überzeugen. Auf Holz gemalte mythologische Symbole verbergen sich unter unzähligen Schichten Gelatine, schälen sich skulptural aus der Fläche, erhalten dadurch ihre zarte Optik. Ihr Preis liegt zwischen 1.800 und 16.800 €. Das Spiel mit dem Material scheint eine Konstante auf der Messe zu sein, widmet sich Khoshbakht aus Köln in hölzernen Skulpturen von Yoora Park sowie zugehörigem Sound trügerischer Erinnerung, speist sich die Installation aus Fragmenten an erinnerte ehemalige Wohnorte der Künstlerin. Kleine Details wie florale Elemente lassen sich nur bei genauer Inspektion ausmachen. Bei Max Goelitz lockt bereits die nur durch einen schmalen Durchgang geschaffene Eingangssituation des Standes. Im Innern treffen Neugierige auf eine in sich gewundene liegende Skulptur von Lukas Heerich, bestehend aus zahlreichen Lautsprechern für 55.000 €. Wer genau hinhört, kann die Stimme des Künstlers sowie die der Künstlerin Precious Okoyomon ausmachen, welche zuletzt eine große Ausstellung im Kunsthaus Bregenz hatte. Heerichs Skulptur erinnert an einen DNA-Strang, eine gewundene Wirbelsäule oder einen gefallenen Turm. Umgeben wird die Arbeit von auf die Wände aufgebrachter gesprühter pinker Flüssigkeit, die einen penetranten Geruch von Ammoniak entfaltet. Dabei handelt es sich um Brandschutzmittel, das in Kalifornien aus Flugzeugen auf brennende Wälder abgeworfen wird. Ein sensorischer Overload, der sich sonst nur in Gewimmel internationaler Metropolen entspinnt. Spannendes Standdesign findet sich auch bei der Wiener Galerie Vin Vin, die gleich ihre ganze Booth mit Sand aufgeschüttet hat. Nur mit den Füßen im Sand lassen sich die Gemälde von Giuseppe Francalanza aus der Nähe begutachten. Geboren in Sizilien lotet der Künstler den fließenden Übergang zwischen Wurzeln und Nomadentum aus, zwischen der Möglichkeit das Land zu verlassen und zugleich von diesem in Erinnerungen verfolgt zu werden, was sich auch anhand der Verwendung von flüssiger Ölfarbe sowie fester Kreide spiegelt.

Was das Publikum auf der Liste vergeblich sucht, hofft es auf der June zu finden, die ebenfalls am Montag zur Preview lud. Die kleine Einladungsmesse in einem Betonbunker nahe dem Messeplatz konnte im vergangenen Jahr nicht nur mit ihrer Location, sondern auch mit spannenden Positionen überzeugen. In diesem Jahr bleibt die Entdeckermesse mit 15 Ausstellern jedoch ebenfalls hinter den Erwartungen zurück. Nur wer sich bis in die hinteren Räume verirrt, wird für den Weg belohnt. Denn bei Season 4 Episode 6 aus London zwingt bereits eine im Durchgang platzierte, aus einem Aktenschrank ragende Eisenstange zum Stehenbleiben. Die Galerie zeigt u.a. Malereien von Harley Roberts. Bei Christian Anderson aus Kopenhagen sind Umzugskartons zum Sockel erhoben, präsentieren leuchtende Fragmente eines Lebens, welches sich mit der Trennung der Künstlerin Patricia Boyd von ihrem damaligen Partner wie ein Abschied anfühlte.

Den Hauptakt bildet aber noch immer die Art Basel inklusive ihrer Sektion Unlimited. Bereits am Montagnachmittag fand in letzterer der Messeauftakt für das geladene Publikum statt. Dieses zeigte sich besonders gerührt von der Performance von Tänzer Victor Mendes innerhalb einer Arbeit von Félix González-Torres. Es gab jedoch auch Kritik, würde man solch einer Performance doch an jedem Wochenende regelmäßig in Gay Bars beiwohnen können. Die Arbeit muss aber im Kontext des Höhepunkts der AIDS-Krise gelesen werden, in welcher der in Kuba geborene, queere Künstler einen Go-Go-Tänzer auf den Sockel hob. In diesem Sinne war es ein Akt der Rebellion queeres Nachtleben in den White Cube des Museums zu holen. Der Tänzer hört die Musik nur über Kopfhörer, was die Performance zu einem stillen und geradezu intimen Erlebnis werden lässt. Allein die Schritte auf dem leuchtenden Podest sind hörbar. Am nächsten Tag bleibt das Podest leer. Nicht für alle sind die Frequenzen von Trauer und Verlust hörbar und doch hat die Arbeit nichts von ihrer Kraft eingebüßt. Obwohl die Unlimited all die überdimensionalen Werke vereint, finden sich auch auf der Messe raumgreifende Stände. Angesichts allgemeiner Kaufmüdigkeit versucht Art-Basel-Direktorin Maike Cruse nach Bekanntgabe der Messe in Katar nun in Basel mit großen Namen und neuer Sektion zu punkten. So finden sich zahlreiche Arbeiten von Picasso, Matisse und Basquiat für zwei- bis dreistellige Millionenbeträge. Dazu trumpft Xavier Hufkens mit zwei sich wunderbar ergänzenden Skulpturen von Mark Manders auf, Gagosian zeigt die Figur eines knienden Mannes mit Anzug und Papiertüte über dem Kopf wie anlässlich einer Hinrichtung von Maurizio Cattelan und David Zwirner präsentiert am Stand sowie auf der Unlimited u.a. Oscar Murillo. Besonders hervor sticht zudem BQ aus Berlin mit einem Stand, der fast wie ein Raumschiff anmutet. Er fügt sich aus einem Mix aus bemalten Seitenspiegeln von Leda Bourgogne oder metallischen Verstrebungen von Alexandra Bircken.

Die Empty Gallery aus Hongkong hat dagegen statt White Cube eine spärlich beleuchtete Blackbox in ihrer Booth installiert, zeigt auf den Außenwänden skulpturale Arbeiten von Tishan Hsu. Unter den Statements sticht mit PSM ebenfalls eine Berliner Galerie hervor, an deren Stand Monilola Olayemi Ilupeju einen Baum liegend auf weißen Kacheln platziert hat, der von diffizilen Malereien auf Baumrinde flankiert wird. Alexandra Metcalf hat bei Ginny on Frederick aus London eine ähnlich poetische Installation aus Standuhren geschaffen. Eine der Uhren ist schadhaft, eine andere lässt in einen unheimlichen Flur blicken oder eine weitere eine winzige Discokugel im Innern rotieren. In der neuen Sektion „Premiere“ mit Arbeiten aus den vergangenen fünf Jahren zeigt Jacky Strenz aus Frankfurt zudem großformatige Reliefs der 2023 verstorbenen deutsch-irakischen Lin May Saeed. Die pastellfarbenen Reliefs wirken wie antike Relikte vergangener Völker, sind zu stiller Größe reduziert, erzählen von Unterwerfung und Befreiung der Tiere. Was aussieht wie in Stein gehauen, aus Marmor gefräst, ist in Wirklichkeit Styropor. Ein wertloses, wenig prestigeträchtiges Material, das sich auch von einer Bildhauerin ohne viel Kraftaufwand bearbeiten lässt. Die Qualität der Kunst auf der Messe weiß auch in diesem Jahr nicht zu enttäuschen.

Nach all den Messen bildet der Art Basel Parcours bei schönstem Wetter eine willkommene Abwechslung. Er bespielt wie im vergangenen Jahr unter der Leitung von Stefanie Hessler sowohl leerstehende als auch noch in Betrieb befindliche Ladenlokale, welche die Clarastraße bis hinunter zum Rhein säumen. Zwei Arbeiten finden sich zudem auf der anderen Rheinseite auf dem Münsterplatz und beim historischen Museum Basel. Der Spaziergang führt in Hotels, durch Unterführungen, über Brücken und in Geschäfte. So bespielt beispielsweise Thomas Bayrle mit neugerriemschneider die Schaufenster des Kaufhaus Manor, präsentiert Regenmäntel in limitierter Auflage vor für ihn typischer Mustertapete. Erstmals 1967-68 vertrieben, verwischen die Mäntel bewusst die Grenzen zwischen Kunstobjekt und kommerziellem Produkt. Ähnlich gut fügt sich Martha Atienzas Dreikanalvideoarbeit TARONG/KAONGKOD in Zusammenarbeit mit Silverlens in die kommerzielle Umgebung. Sie zeigt ein Auf und Ab der Wellen, in welchen ein philippinischer Junge für das sog. Kompressorentauchen trainiert. Diese Praxis, in welcher der Taucher durch einen mit einem an der Oberfläche befindlichen Kompressor verbundenen Schlauch atmet, gilt als gefährlichste Fischereimethode der Welt. Die Videoarbeit hat einen besonders passenden Ort gefunden: Unmittelbar über der Fleisch- und Fischauslage eines Perücken-Geschäfts.

Als besonders gelungen erweist sich darüber hinaus die Platzierung von Selma Selmans Mercedes-Motorhauben in der kleinen Kirche St. Clara. Die Familie der aus Bosnien stammenden Künstlerin mit Roma-Wurzeln verdient mit dem Recycling von Metallschrott ihr Geld. Entsprechend tauchen die metallischen Fragmente auch in den Performances und Arbeiten der im Programm von ChertLüdde befindlichen Künstlerin auf. Die ohnehin auratischen mit weiblichen Figuren und Briefen an den fiktiven Omer bemalten Fahrzeugteile entfalten im Altarraum inklusive eines Benzingeruch verströmenden Zerstäubers eine fast magische Wirkung. Eigentlich ein perfekter Abschluss für ein Event, zu dem das Kunstpublikum gleich einer Sekte jährlich pilgert und auf Erleuchtung hofft.

www.artbasel.com

Dazu in Band 269 erschienen:


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