Protest gegen Nitsch-Aktion
Bei der Aktionsmalerei mit Schüttbildern von Hermann Nitsch kommen verschiedene organische Materialien zum Einsatz, so der ausgepresste Saft von Trauben und anderen Früchten, und bei den Aufführungen zu seinem Orgien-Mysterien-Theater auch frisches Tierblut. Tiere werden bei diesen Performance-Ritualen aber nicht geschlachtet, anders als bei den karibischen Voodoo-Zeremonien oder anderen uralten magisch-religiösen Opferritualen. Religionsgeschichtlich bedeutet das Verbot Gottes an Abraham, seinen Sohn Isaac zu opfern, den symbolischen Übergang vom Menschen- zum Tieropfer. Das dionysische Moment des Orgien-Mysterien-Theaters von Hermann Nitsch rekurriert mithin auf uralte sakrale Zeremonien und ihre Symbole, verbunden mit einer künstlerischen Intensität, die allein jene kathartische Wirkung erzeugen kann, die auch dem antiken Theater eigen war: da ging es bei der Gestalt des Dionysos in dem Drama „Die Bakchen“ (das sind Bacchantinnen) von Euripides um Wein, Rausch, Ekstase und Wahnsinn als eine „kontrollierte Trancetherapie“, wie es der Theaterwissenschaftler Michael Gissenwehrer formulierte, nämlich um eine Katharsis in Form eines „Vorführen des Bedrohlichen, Durchleben, nach überstandenem Schrecken befreit fühlen“. So hat denn auch die Einkehr zur Weinprobe, die regelmäßiger Bestandteil von Nitschs Mistelbacher „Sechs Tage Spiel“ ist, einen tieferen Sinn, und erst recht der Umgang mit Blut und Tierkadavern als Verweis auf verdrängte Topoi in unserem kollektiven Bewusstsein – der Tod wird aus dem Alltag gemeinhin ausgeblendet: statt traditionelle Metzger bei bäuerlichen Hausschlachtungen portionieren heute in den Fleischfabriken Zerlegekolonnen im Akkord ein Schwein oder Rind unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Als zivilisatorisches Pendant dazu hat sich in den modernen Industriekulturen auch die menschliche Sterbekultur verändert, nämlich vom Sterbebett zu Hause in Spitäler und Hospize verlagert. Vor diesem Hintergrund ist Nitschs Anspruch an Katharsis zwangsläufig mit Tabubrüchen verbunden. Doch nicht alle tolerieren das – gegen ein Nitsch-Happening im Juni 2017 im Rahmen des Dark Mofo-Festivals im Museum von Hobart (Tasmanien) protestieren 14.000 Unterzeichner mit ihrer Unterschrift. Sie wollen damit verhindern, dass bei der dreistündigen Performance der Kadaver eines frisch geschlachteten Bullen und sein Blut zum Einsatz kommen. Museumsdirektor David Walsh stellte sich hinter den Künstler: das Publikum solle darüber nachdenken, warum das Schlachten zum Verzehr von Fleisch als Nahrungsmittel in Ordnung sei, aber Fleisch für Rituale nicht. Dabei gehört es ausdrücklich zum dramaturgischen Konzept der Nitsch-Aktion, dass das Fleisch während der Aufführung aufgegessen wird. s. hierzu Jolanda Drexlers Rezension “Existenzfest – Hermann Nitsch und das Theater” in “Kunstforum” Bd. 239 (2016).
Dazu in Band 159 erschienen: