Xenia Hausner verhandelt das Thema der Fremde in Venedig

10. Mai 2024 · Aktionen & Projekte

Patricia Low zeigt Hausners Venedig-Zyklus zur Biennale

– Von Sebastian C. Strenger –

Zur 60. Kunstbiennale in Venedig gibt die Ausstellung Stranger Things der österreichischen Künstlerin Xenia Hausner in der Galerie Patricia Low am Canale Grande noch bis zum 9. Juni ihr Debüt. Der neue Ableger der Schweizer Galerie aus Gstaad zeigt rund 15 Skulpturen und Gemälde der Künstlerin am Canale Grande vis-à-vis zum Palazzo Grassi und verhandelt dabei die geopolitischen Themen unserer Zeit wie vornehmlich Migration und Exil.

„Wurzellosigkeit und Unzugehörigkeit bestimmen meine Kompositionen. Es ist nicht die Migration im tagesaktuellen Sinn, sondern spiegelt das Nichtankommen heutiger Tage und aller Genderzugehörigkeiten wider. Denn damit bin ich vertraut”, so die Künstlerin über ihre neuen Venedig-Zyklus. Nach ihrem zuletzt in der Albertina Modern gezeigten Werkblock Exiles zu den weltweiten Flüchtlingsbewegungen im Jahr 2015 holt sie nun wieder das tagesaktuelle Geschehen ambivalent in ihre Bilder.

Während die Künstlerin mit Double-Dip den gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft in ihrer Öl- und Acryl-Malerei beschreibt, zeigt sie in ihrer Komposition deren Zerrissenheit, gleichfalls mit dem desolaten Zustand der Weltwirtschaft. Und so zeigt die auf den ungewöhnlichen Bildträger gebrachte Malerei symbolhaft das Auf- und Ab im titelgebenden Konjunkturverlauf, bei dem die Volkswirtschaft nach überstandener Rezession während der folgenden Aufschwungphase an Fahrt verliert und erneut in die Rezession abtaucht.

Hier der Auslöser eines Moments, der für viele Menschen in ihrem täglichen Leben mit großen Anstrengungen verbunden ist und die Protagonist*in im wahrsten Wortsinn in zentraler Perspektive kopflos erscheinen lässt – ein Statement der Künstlerin auf die Herausforderungen heutiger Zeit. Gleichwohl knüpft sie motivisch an ihre Züge, Bahnhöfe und Bahnsteige als Orte des (Nicht-) Ankommens an, indem sie in Analogie dazu ihr Motiv an die Reling eines Bootes in der Lagunenstadt verlegt.

Wie in vielen ihrer Werke lässt die Ambivalenz der Szene auch hier die Betrachter*innen nicht erkennen, ob Gewalt oder Hilfe, Hoffnung oder Ausweglosigkeit im Spiel ist, wie auch im Gemälde Deep Water. Die Künstlerin scheint hier mit dem Aphorismus „Stille Wasser sind tief“ zu spielen und wendet die augenscheinliche Idylle Venedigs mit seinen Booten zum von Menschen und Wirtschaft gemachten Klimawandel. Als Antwort wirft sie dem Wasser augenzwinkernd kurzerhand einen Rettungsring malerisch zu. Im Caspar-David-Friedrich Jahr der deutschen Romantik gleichfalls eine Geste, die auch das spirituelle Verhältnis von Fremde im Verhältnis zwischen Mensch und Natur hinterfragt, so wie Hausners Gemälde Pieta sich als Neuinterpretation des Madonnenbildes mit der Silhouette eines barocken Rahmens entpuppt. Die sonst fürsorgliche, aber auch religiöse Szene einer Mutter zu ihrem Kind verlegt sie kurzerhand in eine hippe Konsumgesellschaft, die Wunden bekommen hat.

Ihr skulpturales Werk ist neu. Während die Skulptur Spill hier den durch Teer verklebten und totgeweihten Vogel als Skulptur auf dem Haupt eines Menschen im Rettungsring erscheinen lässt, liefert die Künstlerin in Venedig in kleinerem Maßstab auch bereits den Blick auf ihre Portrait-Skulptur Atemluft, die Hausner auf Einladung der Kulturhauptstadt Europas 2024 im österreichischen Ischl im Mai als Großskulptur in exponierter Lage im städtischen Raum aufstellen wird.

Der Biennale-Claim „Fremde überall“ wendet sich in Hausners Venedig-Zyklus ins Befremden. Befremdliches Verhalten gegenüber Mensch und Natur gehört für Hausner ebenso dazu, wie Artikel 3 der UN-Menschenrechtscharta mit dem Recht jedes Menschen auf Leben, Freiheit und Sicherheit. Dabei nutzt Hausner für ihre Bildfindungen oft Bilder, die uns wie auch bei Floating, durch die digitalen Medien im kollektiven Gedächtnis geblieben sind und die die Künstlerin vorab in räumlichen Settings mit Modellen aufwendig rekonstruiert, um diese anschließend mit Öl und Acryl auf die Leinwand zu bringen. Es sind aber auch ihre zahlreichen Werke zu einer überkommenen stereotypen Welt von Geschlechterrollen, die Gefühle von Fremdheit vermitteln und die die Künstlerin in den vergangenen drei Dekaden zu einer Wegbereiterin internationaler Genderkunst werden ließen.

Dazu in Band 276 erschienen:


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