Surreale Malerei
traumhaft absurd rätselhaft
herausgegeben von Larissa Kikol
Surreale Malerei ist nicht nur eine Avantgardebewegung der westlichen Kunstgeschichte. Sie ist eine Bildgattung der Gegenwart. Der Surrealismus existierte schon vorher, er war nie verschwunden, und er wurde in jeder Zeit und jeder Kultur immer wieder neu entworfen. Dieser Themenband widmet sich den aktuellen Tendenzen der surrealen Malerei. Es geht um Träume, um Geister, um Empowerment, Feminismus, Verletzungen, Schwarze Kultur, Kindheit, die Leipziger Schule, Student*innenpartys und Actionfiguren. Der surreale Output der Gegenwartskunst scheint grenzenlos verbreitet, zwischen den alten Hasen und den Newcomern, zwischen Ost und West, zwischen den Kontinenten und sozialen Milieus. Und so prägen die surrealen Künstler*innen die Malerei auf so reichhaltige und besonders heterogene Weise. Manche sind politisch motiviert, andere schaffen Welten aus der psychologischen Introspektive heraus, wieder andere spielen fröhlich mit ihren Lieblingsmonstern.
Letztes Jahr war es genau 100 Jahre her, dass der Franzose André Breton sein erstes Manifest zum Surrealismus schrieb. Nicht verwunderlich, dass viele Museen dieses Jubiläum zum Anlass nahmen für neue Forschungs- und Ausstellungsprojekte. 2024 durften wir zahlreiche Surrealismuswerke in neuen Kontexten und unter veränderten Perspektiven entdecken. Doch immer noch und wieder aktuell sind Bretons Gedanken: „Die Imagination ist vielleicht im Begriff, wieder in ihre alten Rechte einzutreten. Wenn die Tiefen unseres Geistes seltsame Kräfte bergen, die imstande sind, die der Oberfläche zu mehren […], so haben wir allen Grund, sie einzufangen […].“
So geht Larissa Kikol in ihrem Essay Surreale Malerei – Von den Geistern, die wir riefen der Geschichte der surrealistische Malerei bis in die Gegenwart nach. Sie zeigt auf, welche Aspekte der Moderne heute immer noch relevant bleiben, und welche historischen Figuren man problematischer reflektieren sollte. Außerdem geht es um die Bildgattung der surrealen Malerei als einem der wichtigsten und verbreitetsten Ansätze der Gegenwartskunst. Aktuelle Beispiele der verschiedenen Stile werden vorgestellt. Fortgeführt wird die zeitgenössische surreale Malerei in der Bilderschau Ein Augenaufschlag mit Igor Hosnedl, Youjin Yi, Stella Winter, Federico Solmi und Tilo Baumgärtel. Im Gespräch mit dem Ehepaar Neo Rauch und Rosa Loy wird der Surrealismus in der Leipziger Schule thematisiert, außerdem verraten beide, warum für sie die malerischen Aspekte immer wichtiger bleiben, als die einzelnen Deutungsinhalte. Über kulturelles Sampling in surrealer Pop-Malerei erzählt der iranisch-US-amerikanische Künstler Amir H. Fallah. Mit seinen verschleierten Portraits lotet er aus, wie man Identitäten ohne körperliche Merkmale darstellen kann. Auch Emily Mae Smith stellt (feministische) Fragen nach Identität und Rollen, ohne konkrete menschliche Figuren. Ihre phallusartige Besenfigur ist ikonenhaft. Wie diese entstand und in welcher malerischen Welt sie lebt, verrät die Künstlerin im Interview. Feministische und queere Kampfzonen heißt der Essay von Juliane Rohr. Die Bilder der Künstlerinnen erzählen in surrealer Sprache von Missbrauch, Gewalt, Wunden und der Ambiguität des Frauseins. Der Kurator und Autor Billy Fawo stellt in Afro-Surrealismus – Kunst des Seins und Freiheit Künstler*innen vor, die Schwarze Kulturen und Identitäten feiern. Traumähnliche Bildsprachen werden mit politischen Aussagen gekoppelt. Der Jugoslawe Matija Bobičić malt Actionfiguren mit mehreren Köpfen, Hunden und Kräften wie ein Terminator. Kindheitsträume werden aufgeblasen, in malerischer Bad-Painting-Manier und kindlicher Frohmut. In der jungen Generation sind seine Figuren längst berühmt. Im Interview erzählt er, wie der Fernseher für ihn als Kind zum ersten Kunstwerkzeug wurde.
In dem Essay Pimp my Toys – spielerischer Surrealismus geht Larissa Kikol dem wichtigen Stellenwert der Kindheit für die surreale Malerei nach – in der Moderne sowie heute im 21. Jahrhundert. Denn hat der Mensch seine größte surreale Hochphase nicht genau in dieser Lebenszeit?