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Titel: Spiegelbilder - Kunst und moderne Psychoanalyse · S. 90 - 92
Titel: Spiegelbilder - Kunst und moderne Psychoanalyse , 1981

Glas. Silber. Staub.

von Ulrich Raulff

Das Kind, das zum ersten Mal die eigene Stimme vom Tonband vernimmt, wird kaum in hellen Jubel ausbrechen, und auch für den Erwachsenen, sofern er nicht Sänger oder Ansager wurde, behält diese Form der Konfrontation mit sich etwas von ihrer Seltsamkeit. Zu groß ist die Fremdheit dessen, was das Magnetband zurückwirft, zu selten auch dieser Moment akustischer Selbstpräsenz, um uns mit der sonderlichen Häßlichkeit jenes fremden Nächsten, der eigenen Stimme, auszusöhnen. Unsere akustische Selbstpräsenz ist schlichtweg “unkultiviert”, ihr fehlt der vertraute Umgang mit dem Spiegel oder, da es sich um einen akustischen Spiegel handelt, mit dem Echo. Demgegenüber sind wir so sehr an die Gegenwart des Spiegels und damit an unsere tausendfache visuelle Gegenwart gewöhnt, daß wir dem optischen Umstand der Spiegel wenig und ihrem Materialstand gar keine Aufmerksamkeit mehr schenken. “Wir” – das heißt wir Nicht-Künstler, denn für die Kunst, auch für die gegenwärtige, hat der Spiegel nichts von seiner Faszination und Fragwürdigkeit verloren. Und vielleicht heißt “wir” auch: wir Nicht-Psychologen und Nicht-Philosophen, liefert der Spiegel doch nach wie vor beiden Gruppen die prägnanteste Metapher zur Beschreibung intersubjektiver und subjektiv-objektiver Beziehungen.

Umgekehrt liefern die Philosophen und Psychologen dafür die Erkenntnis des Spiegels, ausformuliert mit begrifflichen Kontext ihrer Theorien des Subjekts, des Bewußtseins oder des Unbewußten. Weshalb es bei ihnen weniger um die Eigenschaften und Eigenleben des Spiegels – seinen Glanz, seine Diskretion – als um die des Gespiegelten – seine Identität und seine Objektivation – geht. Während auf Seiten des vertrauten, täglichen Umgangs der Spiegel außer…

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