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Gespräche mit Künstlern · von Walter Grasskamp · S. 152 - 173
Gespräche mit Künstlern , 1981

Ein schöner Mäzen!

Ein Gespräch mit Hans Haacke über den „Trumpf -Pralinenmeister“

„Wenn irgend jemand heute in der Lage ist, die massive Verflechtung von Kunst, Kommerz und Politik überzeugend zu demonstrieren, so ist das nur der Sammler Ludwig, der in dieser Hinsicht jeden noch so engagierten Polit-Künstler in den Schatten stellt, Hans Haacke vielleicht ausgenommen.“ So stand es vor mehr als zwei Jahren im Kunstforum (Band 31, S. 188), zu einem Zeitpunkt somit, als noch niemand wußte, nicht mal Hans Haacke selber, daß der Industriemagnat und Kunsteinkäufer Peter Ludwig zum Thema eines Haacke-Portraits avancieren würde. Als Kunstkritiker eilt man gewöhnlich den „Entwicklungen“ der Kunst hinterher und kann bestenfalls noch behaupten, genau so habe alles kommen müssen. Der Glücksfall, Prophet gewesen zu sein, ist selten und daher umso befriedigender. Das ist aber nicht der Grund für das folgende Gespräch mit Hans Haacke. In diesem Gespräch geht es vielmehr um die Frage, ob Peter Ludwig die Kritik verdient, die er provoziert und nun auch in einem Kunstwerk zu gewärtigen hat, sowie um die Risiken, die ein dezidiert politisch denkender und arbeitender Künstler wie Hans Haacke in seiner Kunst eingeht.

Haacke hat als Maler und Druckgrafiker seine künstlerische Laufbahn begonnen und war zu Anfang von der Düsseldorfer Zero-Gruppe um Mack, Uecker und Piene beeinflußt. Während seines Paris-Stipendiums 1960/61 entwickelte sich in der Auseinandersetzung mit der Tätigkeit von Yves Klein, vor allem mit den physikalisch operierenden Werken des Bildhauers Takis sein Interesse für biologische und physikalische Prozesse, die er als Realzeitsysteme auszustellen begann. Vor 10 Jahren hat er das Konzept der Realzeitsysteme von den natürlichen auf soziale und politische Situationen übertragen, deren Konfliktzonen er in Ausstellungen visualisiert, bei denen Themen aufgegriffen werden, welche die Medien gerne links liegen lassen. Sein Erfolg war direkt meßbar: der spektakulären Absage einer Einzelausstellung im renommierten Guggenheim-Museum 1971 folgte 1974 die Zensur einer Arbeit in der Kölner Kunsthalle. War es in New York Haackes Analyse des Immobilienbesitzes der Shapolsky-Gruppe, die den Ausstellern zu brisant schien, so in Köln das auf den ersten Blick eher harmlos erscheinende Manet-Projekt, das in einer knappen Abstimmung gegen die Stimmen von Wulf Herzogenrath, Evelyn Weiss und Manfred Schneckenburger aus der Ausstellung Kunst bleibt Kunst verbannt wurde: Haacke hatte mit der für ihn typischen Akkuratesse die Besitzergeschichte des Spargel-Stillebens von Edouard Manet so detailfreudig dokumentiert, daß sich der Vorsitzende des Wallraf-Richartz-Kuratoriums, Hermann Josef Abs, mit 18 seiner aktuellen Aufsichtsratsposten wiederfinden konnte und auch in seiner Tätigkeit in der Zeit von 1933 bis 1945 gewürdigt wurde, was ihm die Kölner wohl ersparen mochten. Der Skandal um diesen peinlichen Fall von Zensur überdeckte die Leistung von Haackes Manet-Projekt, das einen wesentlichen Beitrag zur Kunstsoziologie lieferte, die ansonsten, nach einer Beobachtung von Walter Benjamin, nur die Entstehung von Kunstwerken in den gesellschaftlichen Bedingungen zu erklären sucht, das im Grunde ebenso rätselhafte Überleben von Kunst jedoch nicht zum Gegenstand einer ästhetischen Theorie macht. In der Rekonstruktion des Weges, den das Stilleben von Manets Staffelei über verschiedene, meist jüdische Besitzer bis in das Wallraf-Richartz-Museum zurückgelegt hat, ist diese Arbeit eines der bahnbrechenden Werke der 70er Jahre gewesen, ein Klassiker der Avantgarde, wenn man so will.

Seit 1974 hat Haacke bei Ausstellungen im Frankfurter (1976) und Kölnischen Kunstverein (1978) Arbeiten über das Berufsverbot in der Bundesrepublik gezeigt, eine Arbeit über die Süd-Afrika-Beziehungen des Automobil-Konzerns British Leyland war unter dem beziehungsreichen Titel A breed apart – (Eine Rasse für sich) für eine Ausstellung in Oxford, dem britischen Sitz des Konzerns, hergestellt worden und 1981 im Karlsruher und Bonner Kunstverein zu sehen. (Kunstforum Band 42). In Eindhoven, dem holländischen Sitz des multinationalen Konzerns Philips zeigte Haacke 1979 eine umfangreiche Arbeit über die Rolle des Elektro-Multis im Persien des letzten Schahs, die zum Teil 1979 im Hamburger Kunstverein zu sehen war. Zur Ausstellung „Kunst in Europa nach 1968“ in Gent stellte Haacke 1980 nach dem Vorbild des Center Altars von Hubert und Jan van Eyck eine Bildergruppe her, in der die Waffenlieferungen des belgischen Waffenkonzerns Fabrique Nationale Herstal an Süd-Afrika unter dem Motto visualisiert wurden, mit dem diese Waffenfirma für ihren „Browning Preis für kreatives Design“ wirbt: Wir glauben an die Macht der kreativen Phantasie.

In den USA hat Haacke nach seinem Ausstellungsboykott durch das Guggenheim-Museum, dem sich die übrigen öffentlichen Museen mehr oder weniger angeschlossen haben, in der John Weber Gallery zahlreiche Arbeiten präsentiert, die sich vor allem mit dem kommerziellen Gebrauch und der werbestrategischen Einschätzung von Kunst durch US-amerikanische Konzerne befaßten, so mit der Werbestratgie von Mobil Oil (The Good Will Umbrella und Mobilization, 1976), der Chase Manhattan Bank (The Chase Advantage 1976) und Allied Chemical Corporation (The Road to profits is paved with culture, 1976). 1975 hatte er dort eine Arbeit über Seurats Gemälde „Les Poseuses“ vorgestellt, die wie das Manet-Projekt die Besitzer-Geschichte dieses Bildes dokumentierte, sowie die Sammlung denkwürdiger Aussprüche von prominenten US-amerikanischen Wirtschaftsbossen und Politikern, in denen diese sich über die soziale Funktion von Kunst verbreitet hatten (On social grease). 4 Arbeiten in einer Ausstellung 1979 beschäftigten sich unter anderem mit dem Usus von US-amerikanischen Konzernen, Frauen, die in ihren Betrieben Karriere machen wollen, zur Sterilisation zu bewegen (The right to life). 1981 galt eine Ausstellung wiederum den politischen und kommerziellen Machenschaften von Mobil Oil (Upstairs at Mobil), wobei Haacke ironisch die Frauen eines Aktionärs aufzeigte (Musings of a shareholder).

Der Trumpf-Pralinenmeister ist seit dem Manet-Projekt die erste grössere zusammenhängende Arbeit, die Haacke in der Bundesrepublik zeigt. Wie das Manet-Projekt war auch diese Arbeit für eine offizielle Ausstellung gedacht, nämlich für die Westkunst, mit deren künstlerischem Leiter Kasper Koenig sich Haacke immerhin gut genug verstand, um ihm die peinliche Lage zu ersparen, die Arbeit mit Rücksicht auf einen prominenten Leihgeber unter Umständen ablehnen zu müssen. In seiner seit Jahren konsequenten Beschäftigung mit der kommerziellen Nutzung von Kunst und Kultur durch Wirtschaftsbetriebe war für Haacke die Beschäftigung mit Peter Ludwig nur folgerichtig, die Ausstellung fand ebenso wie 1974 die des Manet-Projektes in den Räumen des Kölner Galeristen Paul Maenz statt.
Walter Grasskamp

I. Informationsmagie

Grasskamp: Es ist kein Geheimnis, daß ich Ihre Arbeiten schätze und bei den Vorbereitungen zum „Trumpf-Pralinenmeister“ habe ich Sie ja auch unterstützt, soweit es in meinen Kräften stand. Gerade das macht es erforderlich, andererseits aber auch möglich, daß wir dieses Gespräch ohne falsche Rücksichten führen. Ich will deswegen gleich mit der unhöflichsten Frage anfangen, einer Frage, die man jedem Künstler stellen muß, der politisch arbeitet: ist der politisch arbeitende Künstler nicht ein Parasit der Probleme, mit denen er sich zu befassen vorgibt?

Haacke: Ich weiß nicht genau, was Sie meinen, wenn Sie da auf parasitäre Möglichkeiten hinweisen.

Grasskamp: Ganz konkret Hesse sich Ihrer Arbeit der Vorwurf machen, eine Art künstlerischer Skandaljournalismus zu sein, weil die Auswahl Ihrer Themen seit Jahren in diese Richtung geht – auch wenn man die Unabhängigkeit und den Mut anerkennt, der Sie zu Themen führt, die einen Journalisten Kopf und Kragen kosten könnten, wohingegen Sie von Ihrer künstlerischen Freiheit entschieden Gebrauch machen.

Haacke: Zunächst eines zur Voraussetzung dieser Frage. Es scheint zwar so, als sei der Künstler freier als der Journalist. Wahrscheinlich ist da aber nur ein gradueller Unterschied. Wenn der Journalist nicht mehr spurt, fliegt er aus der Redaktion oder seine Artikel werden nicht mehr gedruckt, wenn er freier Mitarbeiter ist. Für den Künstler ist es so, daß Kunstinstitute ihn nicht mehr zu Ausstellungen einladen und er dadurch den Zugang zu einem größeren Publikum verliert. Das ist mir in New York sicherlich gelungen. Es gibt in New York kein Museum, das seit 1970 etwas von mir gezeigt oder angekauft hätte. Dasselbe gilt für andere Museen in den USA. Strukturell ist diese inoffizielle Aussperrung auf die Homogenität der Aufsichtsgremien dieser Institute zurückzuführen, die ja vornehmlich von machtvollen Vertretern der Wirtschafts- und Finanzwelt beherrscht werden. In Deutschland und in Europa ist die Lage ein bißchen anders. Hier hängt viel von der politischen Einfärbung der jeweiligen lokalen Situation an. Aber hier in Köln zum Beispiel, ist es für mich unvorstellbar, daß etwa das Museum Ludwig von mir eine Arbeit kaufen würde. Das Wallraf-Richartz-Museum hatte auch nie daran gedacht. Man riskiert also, sich mit einer solchen Art von Arbeit viele Türen zu verschließen, allerdings nicht alle. Glücklicherweise ist ja die Kunstwelt nicht ganz monolithisch. Kommerzielle Galerien interessieren sich für meine Arbeiten, obgleich sie nicht leicht verkäuflich sind. In Amerika habe ich oft in Universitätsgalerien ausgestellt. Und dann gibt es ja auch in Europa Museen und Kunstvereine, die es sich leisten, meine Arbeit zu zeigen und zu unterstützen. Antrieb dazu mag unter anderem die „Abartigkeit“ meiner Sachen sein. Ich möchte aber nicht ausschließen, daß die Veranstalter im Stillen mit ihrer Tendenz sympathisieren, oder daß sie zumindest meinen, daß es nicht richtig sei, sie ihrem Publikum vorzuenthalten.

Was den Vorwurf des Skandaljournalismus angeht, so ist es unvermeidlich, daß bestimmte Themen, die allgemein unter den Teppich gekehrt werden, einen gewissen sensationellen Anstrich bekommen, wenn man sich ihrer annimmt. Ob das zur Folge hat, daß die Betrachter sich deswegen auch besonders mit dem Thema befassen und die Kunst nicht nur unter formalästhetischen Gesichtspunkten sehen oder ob vielmehr die Sensation das Thema und den Inhalt letzten Endes überdeckt und das Weiterfragen und die möglichen Konsequenzen unterbindet, darüber kann man nur spekulieren. Das ändert sich wohl auch von Fall zu Fall.

Grasskamp: Ich meinte die Frage nicht als eine nach der politischen Wirkung, ich sehe vielmehr ein artistisches Risiko in dem, was ich mit Skandaljournalismus angesprochen habe, ein Risiko, das Sie eingehen, wenn Sie auch ein wenig auf den Sensationswert der Themen kalkulieren, die Sie aufgreifen, auf die Sie sozusagen seit Jahren abonniert sind.

Haacke: Ich kann dieser Frage nicht ganz folgen. Wenn man sie nämlich logisch zu Ende denkt, würde das doch heißen, daß man unausweichlich zum Parasiten wird, sobald man etwas Brisantes anpackt. Um einem solchen Vorwurf nicht ausgesetzt zu sein , dürfte man also „heiße Eisen“ nicht anfassen. Das halte ich für eine gesellschaftlich äußerst gefährliche Verhaltensweise.

Grasskamp: Das wäre eine mögliche Konsequenz, aber mich interessiert, warum Sie seit Jahren fast ausschließlich solche Themen suchen, es ist ja nicht so, als ob Sie nur ein oder zweimal ein solches Thema aufgegriffen hätten.

Haacke: Vielleicht kann man die Frage besser beantworten, wenn man sie aus der Welt des Journalismus heraushebt. Schon in den 60er Jahren, als ich noch nicht mit gesellschaftlichen Phänomenen arbeitete, sondern mit physikalischen und biologischen, interessierte ich mich vor allem für das, was ich für real hielt und halte, für Dinge die nicht primär ideeller Natur sind oder nur symbolische Bedeutung haben. Zunächst meinte ich, müßte da etwas sein, über dessen Existenz man eigentlich nicht mehr diskutieren kann. Bei gesellschaftlichen Themen sind es Ausschnitte eines tatsächlich vorhandenen strukturellen Problems, das wohl ein etwas sensationelles Glanzlicht haben mag, aber doch zum Wesen einer kulturpolitischen oder anders gearteten gesellschaftlichen Konfliktsituation gehört. In etwas zugespitzten Fällen werden m eines Erachtens die Grundmuster eher sichtbar und für den Betrachter handhabbar. Und es muß auch für ein zunächst uninteressiertes Publikum attraktiv sein. Im Falle Ludwig liegt das „Sensationelle“ wohl zunächst einmal in der Verhaltensweise des Aachener Kunstunternehmers und seinen Stiftungsplänen. Dazu kommt dann, daß sich ausgerechnet ein Künstler damit kritisch befaßt. Es ist schon aufschlußreich, daß das allein heutzutage für eine „Sensation“ gehalten wird.

Grasskamp: Worin besteht dann für Sie, wenn Sie sehr viel journalistische Arbeit machen, Recherchen, Informationszusammenstellungen usw., die artistische Herausforderung?

Haacke: Die Frage impliziert eine bestimmt Vorstellung von dem, was man für „artistisch“ oder für „Kunst“ hält, und darüber gibt es ja keine befriedigende Übereinkunft. Ich komme jetzt scheinbar von der Frage ab, aber nur scheinbar. Denn wenn von artistischen Ingredienzien die Rede ist, kann man um diese Diskussion nicht herum. Meines Erachtens gibt es keine absoluten Kriterien für den „artistischen“ Wert einer Sache. Es gibt auch keine eindeutigen Kriterien, die „artistische“ von anderen Merkmalen unterscheiden. Das, was man für künstlerisch, für gut oder schlecht hält, beruht auf einem Konsensus unter den kulturellen Machthabern. Da gibt es nun verschiedene Gruppen: die Kritiker, die Künstler, die Ausstellungsmacher, die Sammler, das Publikum usw. Dieser Konsensus braucht nicht innerhalb oder unter all diesen Gruppen zu herrschen: da gibt es sicher so etwas wie eine Opposition und eine Regierungskoalition. Der Konsensus verändert sich überdies mit der Zeit. Aber es gibt eben keine absoluten Kriterien! Und wenn Sie mich fragen, was sind die künstlerischen Merkmale in meiner Arbeit – im Gegensatz zu den journalistischen – dann ist das auch nur in der etwas schiefen Weise zu beantworten, daß ich selbst und Leute, die mit meiner Arbeit sympathisieren, eben der Meinung sind, daß die Art, wie ich mit diesen Themen umgehe, sich prinzipiell von einem journalistischen Umgang unterscheidet, wobei wohl letzten Endes die Form für das ausschlaggebend ist, was an meiner Arbeit künstlerisch sein mag.

Grasskamp: Sie haben mich jetzt ganz interessant mißverstanden, für mich ist völlig klar, daß Ihre Arbeit Kunst ist, danach hatte ich auch nicht fragen wollen. Ich verstehe, daß Sie von den Themen herausgefordert werden, die Sie angehen, aber ich möchte wissen, worin die artistische Herausforderung besteht. Wenn man es unhöflich formulieren will, könnte man sagen: Haacke absolviert verschiedene journalistische Arbeitsschritte und dann entwirft er daraus ein Informationsangebot, man könnte sagen, Sie machen Informationsdesign.

Haacke: In Ihrer Frage lauert ein wenig das formalistische Vorurteil, daß Inhalte, besonders gesellschaftlicher aufgeladene Inhalte der hohen Kunst im Wege sind. Aber ist es nicht im Grunde immer so gewesen, daß Künstler, die sich für einen Inhalt interessieren, eine entsprechende Form suchen mußten, um den Inhalt vorzutragen? Diese Formen ändern sich natürlich. Aber das, was Sie so „Informationsdesign“ nennen, ist doch seit Tausenden von Jahren betrieben worden, ohne daß man dieses Wort kannte. Als die Ägypter ihre Pharaonenbilder und Hieroglyphen erfanden, war das doch auch „Informationsdesign“, das damals sogar noch magische Qualitäten hatte. Diese magischen Qualitäten haben – in einem ganz komischen und schrägen Sinne – ein zeitgenössisches Pendant im Sensationalismus, der ja auch einen gewissen magischen Charakter hat. In ihm steckt doch etwas, was nicht faßbar ist – auf einmal erregt es die Gemüter und kann zu allen möglichen Konsequenzen führen, die eigentlich auf nichts Materiellem basieren: Informationsmagie.

Grasskamp: Worin bestanden in der Ludwig-Arbeit, bei der Sie ja lange Zeit unschlüssig waren, in welcher Form sie dazustellen sei, die spezifischen künstlerischen Probleme?

Haacke: Zum ersten gab es eine Unmenge von Informationen, die außerdem sehr komplex und nicht leicht auf einen Nenner zu bringen waren. Es war mir auch klar, daß es nicht reicht, nur die „künstlerische“ Seite, den Sammler Ludwig, zu zeigen. Auf der anderen Seite ist ja doch der Schokoladenbetrieb, der die „künstlerischen“ Aktivitäten erst möglich macht. Dann wollte ich auch die parallele Entwicklung in beiden Bereichen sichtbar machen, ihre fast charakterologische Parallelität der Verhaltensweise: Ludwigs kaufmännisches Kalkül und das Machtstreben, mit denen er die Strukturen der heutigen Gesellschaft -absolut legal – bis zum Rande ausreizt, um persönliche oder Unternehmensvorteile herauszuschlagen. Darin impliziert ist auch ein Infragestellen der vom Gesetzgeber errichteten und sanktionierten Strukturen. Auf Grund der Steuer- und Berlinförderung wird ja der Schokoladenbetrieb von uns in großem Stil subventioniert. Und dann werden uns gönnerhaft ein paar Früchte dieser Subventionen unter harten Bedingungen zurückgegeben. Die Werke bleiben ja nicht nur unter der Kontrolle des „Stifters“, sie verschaffen ihm auch in öffentlichen Gremien eine beispiellose Macht über öffentlichen Besitz und Steuergelder. Als Krönung des Ganzen entfallen dann noch Erbschaftssteuern von mehreren Millionen Mark, abgesehen von den Steuervergünstigungen zu Lebzeiten.

Grasskamp: Die Gegenüberstellung des Kunstsammlers und des Industriemagnaten ist ja ein Konstruktionsprinzip der Arbeit und als solches einleuchtend, weil es die normale Kanalisierung der Informationen – einerseits Wirtschaftsteil, andrerseits Feuilleton – unterläuft. Was waren aber die visuellen Herausforderungen bei diesem Thema?

Haacke: In meinen Arbeiten benutze ich oft Zitate, die vom Ziel meiner Angriffe stammen – es können verbale Zitate sein oder auch visuelle. Wenn man den Namen Ludwig hört, dann denkt man normalerweise, im Kunstbetrieb an Pop Art oder allgemeiner an moderne Kunst. Die habe ich aber ganz bewußt ausgespart. Ich habe dagegen etwas zitiert, was ironisch auf Pop-Art anspielt, nämlich die „Pop-Art“, die Herr Ludwig selber produziert und verkauft.

Grasskamp: Sie haben also die Ästhetik der Produkte…

Haacke: …als seine Kunstform zitiert. Das ist meines Erachtens ganz aufschlußreich, weil mit diesen Verpackungen doch eine ganze Reihe von Wunschvorstellungen angerufen werden und auf Werte angespielt wird, die – grob gesagt – sehr traditionell und konservativ sind. Ich wollte keine laute Pop-Art aus meiner Arbeit machen. Das wäre ein billiges Pamphlet geworden. Ich habe mir als Vorbild den Lindt-Stil gewählt. Bei den Lindt-Packungen versucht Monheim sich ja als gediegen, altväterlich und „konservativ mit Qualität“ zu profilieren. (Das hat weiß Gott nichts mit dem Inhalt dieser Packungen zu tun, diese Pralinen sind ja doch ziemlich miserabel). Aber wenn da in klassischen Lettern Titel wie Royal, Reverence (Verehrung) oder Symbol mit dem Bild eines goldenen Handspiegels und einer sich darin spiegelnden Rose auftauchen, dann ist das alles schon sehr edel. Schokoladenfarben sind Braun und Beige. Dann kommt noch Rot dazu. Und Gold wird viel benutzt, bei Pralinen vor allem. Von Trumpf gibt es drei oder vier Packungen, die sind gold und beige. Bei Trumpf gibt es auch noble Titel: Klassik, Tradition, Wappenklasse. Kein Wunder, daß die Edlen Tropfen in Nuß ebenfalls zum Adel gehören. Bei Lindt variiert die Farbskala, aber Gold ist immer dabei. Beige und Gold und Weiß zusammen – ich habe ganz feine weiße Ränder um die Tafeln und die Fotos gelassen – nimmt dem Beige etwas von seiner farblichen Penetranz, obwohl es immer noch ziemlich unangenehm ist – ich mag Beige nicht. Aber ich meinte, es sei nötig, durch die Wahl der Farbe Bezug auf den Inhalt zu nehmen. Für die schokoladenbraunen Überschriften habe ich eine protzig verschnörkelte Type mit goldener Aura gewählt, so wie man sie auf Trumpf-Packungen findet. Im selben braun, aber eher dem Edel-Kitsch von Lindt entsprechend, ist der Text darunter in Garamond gesetzt. Die eincollagierten Schachteln repräsentieren natürlich Meisterwerke Monheimscher Pop Art. Ja, und über dem ganzen dräut der Firmenchef, flankiert von den Frauen, die für ihn arbeiten. Auf einem der Fotos aus dem Betrieb ist eine vieldeutige Reklametafel zu sehen: „Schogetten, als war’s ein Stück von mir“.

II. Ein schöner Mäzen

Grasskamp: Jetzt haben wir die ganze Zeit über die artistische Seite Ihrer Arbeit gesprochen, reden wir mal über das Objekt, über Peter Ludwig. Sie haben die Psychologie dieses Mannes in der Gegenüberstellung seines Machtstrebens im Kunst- und Wirtschaftsbereich in die Arbeit eingebaut, indem Sie Diptychen verwendet haben. Was aber den kulturpolitischen Anspruch von Peter Ludwig angeht, würde ich gerne mal den advocatus diaboli spielen, was mir nicht mal so schwer fällt, da die Vermittlungstätigkeit von Ludwig für meine persönliche Entwicklung rein zufällig, aber nichtsdestoweniger nachhaltig Bedeutung hatte und noch hat. Mit den ersten Pop Art Ausstellungen seiner Sammlung in Köln bin ich sozusagen wach geworden, ich war damals 17 oder 18, und daß ich, auch wieder aus Zufall, von Süddeutschland nach Aachen gezogen bin, als dort die Sammlung Ludwig Furore machte, 1971, machte mich zu einem begeisterten Nutznießer seiner Vermittlungstätigkeit, der lange Zeit durchaus bereit war, die positive öffentliche und die eigene Einschätzung von Ludwigs Sammler-Rolle zu teilen. Die Argumentation läuft ja etwa folgendermaßen – und schwer angreifbar -: man soll doch froh sein, daß ein Industriemagnat nicht etwa Waffen sammelt oder sich auf die faule Haut legt, sondern seinen Reichtum in moderner Kunst anlegt und diese auch noch sofort allgemein zugänglich macht. Die Sozialverpflichtung des Eigentums, wie sie das Grundgesetzt vorsieht, läßt sich in diesem Zusammenhang rühmlich anführen, und Ludwig selbst beruft sich darauf, daß er einer Aufgabe nachkommt, die der Staat weitgehend vernachlässigt und auch nicht mit gleichem Risiko und Einsatz wahrnehmen könnte, die Ludwig als Privatmann aufbringen kann. Läßt sich eine solche Argumentation schon dadurch widerlegen, daß man den Kunstsammler Ludwig gegen den Industriemagnaten ausspielt?

Haacke: Zunächst sollte man aber einmal festhalten, daß Ludwig sicherlich aus eigener Kraft nicht in der Lage wäre, seinen gesamten Kunstbesitz zu Hause aufzuhängen und sachgerecht zu unterhalten. Enorme Anlagen müßten von ihm finanziert werden, mit Klimatisierung, Staubfreiheit, Diebstahlsicherung usw. Dazu käme ein großer Stab von Personal für die technische und wissenschaftliche Betreuung. Und Ludwig müßte Vermögenssteuer für seinen Kunstbesitz bezahlen, die durch Dauerleihgaben an öffentliche Institute entfällt. Allein für die Kölner Pop Art Sammlung wären das jährlich über zweihunderttausend Mark gewesen. Man weiß natürlich auch aus Erfahrung, daß Ausstellungen in Museen den Wert von Kunstwerken steigert. Auf all dies habe ich in meiner Arbeit angespielt. Es ist klar, daß ein sammelwütiger Mensch wie Ludwig seiner Leidenschaft ohne die Kooperation öffentlich finanzierter Institute nicht in diesem Stil nachgehen könnte. Es hat also weniger mit der sogenannten Sozialverpflichtung des Eigentums als mit nüchternen kaufmännischen Überlegungen zu tun, wenn Ludwig seine Sammlung in diversen Museen parkt. Er braucht sie. Ohne ihr Mitwirken käme auch sein Geltungsbedürfnis nicht auf seine Kosten. Es wäre einmal interessant nachzurechnen, welche der beiden Parteien Ludwig-Öffentlichkeit von der anderen rein finanziell profitiert. Das geht aber nur, wenn die Kulturbürokratie mit den Zahlen herausrückt. Bisher sind jedoch solche Erkundigungen immer indigniert abgeblockt worden. Daß Ludwig so leidenschaftlich sammelt, hat auch seine psychologische Komponente, über die sich allerdings nur spekulieren läßt. Aber es ist ja auch unerheblich, ob wir es bei Ludwig mit einem verhinderten Museumsdirektor zu tun haben – er hat ja in Mainz mit einer kunsthistorischen Arbeit promoviert und dann eine kunsthistorische Karriere dem Schokoladegeld geopfert – und welche Motive im Einzelnen ausschlaggebend sind, entscheidend sind die Resultate. Und da sehen wir eben, daß viele Städte, viele Museumsdirektoren, Ausstellungsmacher, und auch Künstler bewußt oder unbewußt nach seiner Pfeife tanzen, daß wichtige kunstpolitische Entscheidungen in seinem Sinne fallen, gleichgültig, ob er das erzwingt oder ob das nun durch Selbstzensur geschieht. Er interveniert für die von ihm favorisierte Kunst und beeinflußt über seine Leihgabenpolitik viele Ausstellungskonzepte. Eben dies soll ja auch eine wesentliche Aufgabe der Ludwigstiftung sein, in der er als Vorsitzender den Ton angeben will. Darüberhinaus bestimmt er natürlich auch indirekt, was hier und da gezeigt wird, welche Vorstellungen von Kunst wir entwickeln und welche Vorstellungen von Kunst tradiert und in die Zukunft projiziert werden. Damit beeinträchtigt er nicht nur meine, sondern vieler Leute Arbeitsbedingungen.

Grasskamp: Sie meinen also, durch die Machtansprüche, die er unter dem Deckmantel seines Mäzenatenanspruchs realisiert, widerlegt er seine Rechtfertigung als Kunstsammler und Stifter?

Haacke: Ja, es gibt ja auch Beispiele von Sammlern, bei denen diese Machtansprüche nicht in demselben Ausmaß in Erscheinung treten, Leute, die nicht in erster Linie darauf aus sind, zu dirigieren, Weichen zu setzen und – um seine eigene Terminologie zu benutzen – „Impulse zu geben“, die vielmehr ihre Rolle darin sehen, Künstlern ihre Arbeit zu erleichtern und Dinge möglich zu machen im Sinne der Geburtshilfe, nicht als Kunstkommissar.

Grasskamp: Aber in Ihrer Arbeit ist diese Analyse nicht gemacht worden, die in der Tat nötig wäre, um die Behauptung zu illustrieren, daß Ludwig in den letzten Jahren massiv beeinflussen konnte, was als Kunst zu gelten habe…

Haacke: Na, die ist doch drin, wenn auch nicht so direkt wie es in diesem Gespräch möglich ist. Das verbietet der Stil der Arbeit. Aber wenn ich zum Beispiel als Überschrift ein Zitat von ihm benutze: „Wehe der (Kunstmarkt-)Koje, an der er vorübergegangen ist“, dann spricht das doch Bände.

Grasskamp: Meinen Sie nicht, daß dies ein ironisches Zitat ist?

Haacke: Nein, das ist nicht ironisch. Und dann – ebenfalls als Überschrift – die entschiedene und deswegen so suspekte Absage an kunstpolitische Machtansprüche und das vehemente Bestreiten, daß er mit Drohungen arbeite, während es in den von mir zitierten Bedingungen des Schenkungsvertrages an die Stadt Köln ausdrücklich heißt: wenn ihr bis zu diesem Zeitpunkt, nämlich meinem Geburtstag, das Museum nicht auf die Beine gestellt habt, dann nehme ich das ganze Zeug wieder mit nach Hause, diese Widersprüche sind doch in der Arbeit drin. Ausführlich habe ich auch den Entwurf des Stiftungsvertrags zitiert, in dem sein Machtanspruch deutlich wird und als solcher auch von den von mir angeführten kritischen Beobachtern identifizierbar wird.

Grasskamp: Könnte man denn von ihm verlangen, daß bei dem ganzen Engagement, mit dem er sammelt, er das nur als eine Art Dienstleistung verstehen sollte, hätten ihn dann die Museumsleute überhaupt ernst genommen?

Haacke: Museumsleute nehmen jeden ernst, der ihnen etwas stiften will, das ist doch nur natürlich. Sprechen wir aber mal von selbstmotivierten Museumsleuten (leider gibt es davon zu wenige).Eine Ausnahme von der Regel: es hat in Krefeld einen Museumsdirektor namens Wember gegeben, der mit einem ganz kleinen Budget sehr mutig und phantasievoll eingekauft hat und wie Ludwig gesagt hat: ich weiß, bei allem, was ich jetzt kaufe, wird sich in 50 oder 100 Jahren herausstellen, daß nur ein ganz kleiner Teil wirklich überlebt. Aber ich tue es trotzdem und ich folge meinem Instinkt, weil eine gute Sammlung nur auf diese Weise finanziell zu machen ist und künstlerisch und kulturpolitisch interessant ist. Und der Wember hat so für seine Zeit eine wirklich beachtliche Sammlung zusammengestellt. Dann gibt es in Mönchengladbach jemanden, der mit einem ganz kleinen Budget sehr mutig Dinge kauft, die noch nicht abgesegnet sind, der Herr Cladders, der nach eigenem Urteil kauft und mit öffentlichen Geldern meines Erachtens sehr verantwortungsvoll umgeht. Dagegen gibt es leider sehr viele Beispiele, wo genau umgekehrt vorgegangen wird. Das eklatanteste Beispiel ist die Ankaufspolitik von Herrn Schmalenbach in Düsseldorf, der heutzutage der Vorreiter der Anti-Ludwig-Kampagne ist und dabei auf Grund seines kulturpolitischen Prestiges wahrscheinlich eine sehr wichtige Rolle spielt. Wenn es aber um seine Ankäufe geht, entwickelt er wirklich keine Phantasie und zeigt keinen Mut. Wegen seiner Furcht, nicht immer ein Meisterwerk zu erwischen, wenn das Stück nicht bereits durch mehrere Künstler- und Kritikergeneration als solches bestätigt worden ist, wegen seines traditionellen und konservativen Ansatzes werden Steuergelder praktisch verschwendet. Wenn er den Pollock und was er sonst noch gekauft hat, erworben hätte, als die Bilder noch billig waren, dann hätten wir alle sehr viel mehr Bilder und vielleicht sogar bessere…

Grasskamp: Ist das nicht wieder Wasser auf Ludwigs Mühlen?

Haacke: Das Dumme an der Geschichte ist, daß viele Museumsdirektoren, -glücklicherweise nicht alle, versäumen zu tun, was sie tun könnten und sollten – nicht etwa wegen der Umstände, in denen sie arbeiten, sondern es wegen ihrer Faulheit, intellektuellen und anderen Faulheit nicht fertigbringen. Sie könnten es nämlich durchaus wie die löblichen Beispiele es demonstrieren. Und deswegen ist es in der Tat ein bißchen schwierig, gegen Peter Ludwig zu argumentieren. Es ist das persönliche Versagen der öffentlichen Kulturbürokraten, das ihm den Vortritt läßt, der ihm nicht zukommt.

Grasskamp: Was er ja in seine Argumentation bereits mit einbezieht. Es bleiben damit eigentlich nur zwei Vorwürfe übrig, die gegen seine Selbstdarstellung sprechen, daß er zum ersten nicht einbezieht, daß seine mäzenatische Stiftungsbereitschaft auf den Erträgen eines Industriebetriebs basiert, der mit Steuergeldern massiv unterstützt wird, und daß er andrerseits Künstlern nicht ihre Arbeit erleichtert, sondern fertige Produkte einkauft.

Haacke: Es ist auch wichtig, zu sehen, daß der Terminus des „Mäzens“, wenn man ihn ernst nimmt, und das haben Sie ja auch in Ihrem Buch abgehandelt, auf einen Sammler wie ihn nicht zutrifft.

Grasskamp: Aber den dritten Vorwurf, auf den ich noch einmal zurückkommen möchte, vermisse ich doch in ihrer Arbeit, den Nachweis, wie Ludwig konkret beeinflußt, was als Kunst heute zu gelten hat. Das hat ja weniger mit den Werken zu tun, die er als Kunstwerke zu lancieren versteht – wobei es ja immerhin zu solchen überraschenden Mesalliancen kommt, wie der, daß er sozialistischen Realismus aus der DDR sammelt – als vielmehr mit der Kunst, die er links liegen läßt. Dazu gehört zweifellos die Konzeptkunst, aber das ließe sich ja als eine Geschmacksentscheidung durchaus respektieren.

Haacke: Es ist aber sehr viel weitgehender. Wir haben uns schon im Vorbeigehen darauf geeinigt, daß er Dinge nicht möglich macht, sondern nur fertige Produkte mit nach Hause nimmt, Produkte, die auch die Chance haben physisch zu überleben, die 50 oder 100 Jahre an der Wand hängen oder auf dem Boden stehen können. Um wirtschaftliche Begriffe zu benutzen: er gibt kein Geld für Forschung und Entwicklung aus. Er geht nicht das Risiko des Venture capitalist ein. Ephemere Dinge gehören nicht zu seinem Kunstverständnis, und von dieser Sorte hat es doch in den letzten 20 Jahren sehr viele gegeben, Performance, Video, Happenings, eine bestimmte Art von Plastik, die nur kurze Zeit existieren kann, Installationen, Environments, all diese Dinge kommen bei ihm nicht vor. Und immer, wenn etwas sehr prominent vorgestellt wird auf Kosten von etwas anderem, dann ist es wie bei der Wahl, wo die schwächere Partei durch Stimmenthaltung sehr viel mehr verliert als es den Anschein hat. Eine ganze Reihe von Dingen, vor allem Dinge, die das Geld sehr viel nötiger hätten als Produkte, die ja potentiell verkäuflich sind, werden von ihm nicht unterstützt. Produkte sind doch immer noch eher zu finanzieren. Damit kann spekuliert werden, Renommé gemacht werden, die überleben und können auf Auktionen später möglicherweise teuer verkauft werden. Durch Schenkungen kann man, vor allem in den USA erhebliche Steuervorteile, erhalten.

Grasskamp: Sie meinen also, durch seine Sammeltätigkeit rehabilitiert er ein sehr konservatives Kunstverständnis, das die Entwicklung der Kunst in den letzten 20 Jahren ignoriert und widerlegt, sogar abdrängt?

Haacke: Absolut. Alles, was in diesem Jahrhundert und vor allem in den letzten 20 Jahren den traditionellen Kunstbegriff in Frage gestellt hat, ist in seiner Sammlung unterrepräsentiert oder überhaupt nicht vertreten. Das große Moderne ist in seiner Sammlung immer noch die Scheinrevolution der Pop Art. Es gibt wohl ein paar wenige Minimai-Skulpturen, aber die spielen doch die Rolle von Alibi-Negern. Dagegen kauft er en gros Photorealismus, Pattern Painting und neuerdings die zahmen „neuen“ Wilden ein, was sowohl auf den Kunstmarkt wie auch die kritische Einschätzung Folgen hat. All diese Dinge werden dann üblicherweise in den Ludwigfilialen mit Getöse ausgestellt, was sicherlich unser Kunstverständnis mit prägt.

Grasskamp: Im Grunde bestätigt auch diese Kritik seine angemaßte Bedeutung, aber vielleicht fragen wir in eine andere Richtung: Ich vermißte in Ihrer Arbeit Details über die Lage der Arbeiter in den Ludwig-Betrieben. Sie haben diese ja nur durch Fotografien zitiert, aber es bleibt doch unklar, ob Ludwig, der ein „guter“ Kapitalist sein will, wenn er auf seine Stiftungen und Schenkungen verweist, auch ein „guter“ Kapitalist ist, wenn man die Arbeitsbedingungen seiner Betriebsangehörigen unter die Lupe nimmt, ob er etwa – wie in den Betrieben von Karl Ludwig Schweinsfurth in Herten und von Philip Rosenthal – neben seinem Engagement im Kunstbereich auch bereit ist, die Arbeitswelt selbst, im Rahmen der sich bietenden Möglichkeiten, zum Gegenstand seines kulturellen Interesses zu machen und auch finanziell gute Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Haacke: Das ist nicht einfach in den Griff zu bekommen, besonders bei einem Betrieb, der mit Informationen sehr geizt. Da kann man nur auf Umwegen drankommen. Die Fotos aus dem Betrieb sind da auch nicht ausreichend. Sie zeigen aber trotzdem, daß da nicht alles das reine Zuckerschlecken ist. Wenn zum Beispiel eine Gastarbeiterin beim Nachhausegehen kontrolliert wird, ob sie eine Tafel Schokolade eingesteckt hat, während ihr Chef mit großer Geste Schenkungen macht und Ehrenbürgerschaften einkassiert, dann spricht so ein Bild schon Bände. Auch die zitierten Tariflöhne sprechen für sich. Man kann natürlich sagen, das sind Tariflöhne, die von der Gewerkschaft ausgehandelt wurden und ihm deshalb nicht vorgeworfen werden sollten. Letzten Endes ist es aber egal, welche Hintergründe diese Löhne haben. Tatsache bleibt, daß er sein Schokoladenreich und infolgedessen auch sein Kunstimperium auf Niedriglöhne errichtet hat. Diese Löhne reichen von ungefähr 6 Mark bis 12.30 DM, als höchsten Lohn für einen hochqualifizierten Arbeiter. Das bedeutet aber doch, daß hochqualifizierte Leute bei ihm gemäß Tariflohn kaum mehr bekommen oder vielleicht noch nicht mal so viel wie Putzfrauen. Das Monheimsche Industrieimperium gründet sich wesentlich auf die Ausnutzung niedriger Lohnstufen. Dann ergibt es sich in der Schokoladenindustrie, was ihm natürlich zu Gute kommt, daß sehr viel mit ungelernten Arbeitern zu machen ist, mit Saisonarbeitern, oder genauer gesagt mit Arbeiterinnen. Die Mehrzahl der Beschäftigten sind ja Arbeiterinnen, die ja auf Grund historischer Bedingungen bei Löhnen benachteiligt sind und gewerkschaftlich selten eine Macht darstellen. Ein großes Kontingent sind überdies Ausländerinnen, die von vornherein kaum Einfluß auf ihre Arbeitsbedingungen ausüben können. All dieses soziale Getue trifft also nicht zu, wenn man einmal hinter die Kulissen schaut.

Grasskamp: Hat der Künstler Haacke mit dem Kunstsammler Ludwig schon mal zu tun gehabt?

Haacke: Ja, ich habe einmal kurz mit ihm zu tun gehabt. Diese Geschichte bringt mich auch ein bißchen aus dem Schneider, wenn mir Leute sagen: Sie haben nur was gegen Ludwig, weil Sie in seiner Sammlung nicht vertreten sind. 1974, als ich mit meiner Manet-Arbeit hier in Köln Ärger hatte, hat er sie sich in der Galerie Maenz angeguckt. Er hat mir dazu gratuliert und Maenz gesagt, er wolle sie kaufen. Ich habe ihm dann aus New York geschrieben, es sei sehr schön, daß er die Arbeit kaufen wolle und es sei ja sicherlich kein Problem für ihn, mit mir denselben Vertrag abzuschließen, den ich mit allen Sammlern meiner Arbeiten abschließe, einen Vertrag, der mir bestimmte Rechte an der verkauften Arbeit einräumt. Es ist der Vertrag, der von einem New Yorker Rechtsanwalt mit Seth Siegelaub 1971 als Modell ausgearbeitet worden ist und 1972 im documenta-Katalog in mehreren Sprachen veröffentlicht worden ist, ebenso in Studio International und domus. In diesem Vertrag wird dem Künstler zugebilligt, daß bei einem Weiterverkauf 15% des Gewinns an ihn ausgezahlt werden. Es wäre bestimmt für Herrn Ludwig kein Problem, das zu unterschreiben. Überdies hat der Künstler alle fünf Jahre das Recht, die Arbeit einmal auszuleihen für eine Ausstellung. Das dürfte auch kein Problem sein. Bei irgendwelchen Reparaturen und Veränderungen muß der Künstler gefragt werden. Und dann ist da ein Punkt, an dem es wahrscheinlich gehapert hat: Gemäß diesem Vertrag muß der Künstler gefragt werden, wenn seine Arbeit öffentlich ausgestellt werden soll. Nicht wenn es zu Hause in den eigenen vier Wänden geschieht, wohl aber in Museen und anderen öffentlichen Instituten. Auf diesen Brief habe ich nie eine Antwort bekommen. Kurze Zeit später bekam Paul Maenz eine knappe, sehr verbindliche Notiz von Herrn Ludwig, in der ihm zu verstehen gegeben wurde, daß er die Arbeit an jemand anderen verkaufen könne und sich nicht gebunden fühlen solle. Vor kurzem habe ich dann von jemandem, der Ludwig sehr gut kennt, gehört, daß der große Mäzen fürchterlich erregt war über diesen Brief von mir. Nachdem ich mir nun die ganze Ludwiggeschichte ein bißchen zu Gemüte geführt habe, ist mir auch ganz klar, warum: er würde damit die alleinige Kontrolle verlieren und die entscheidende Möglichkeit, diese Arbeit wie auch die Arbeit irgend eines anderen Künstlers wie eine Schachfigur hin- und herschieben zu können. Darauf kommt es ihm aber doch offenbar sehr an, daß er ganz frei darüber verfügen kann, daß weder der Künstler noch die Empfänger seiner Gaben seine kunstpolitischen Schachzüge durchkreuzen können. Das Verrückte an der -Geschichte ist, daß dies genau der Punkt ist, auf den er bei seinen Schenkungen und Stiftungen so großen Wert legt, nämlich, daß selbst wenn seine in Schenkungen und Stiftungen eingebrachte Arbeiten ihm nicht mehr gehören, er für 10 Jahre weiter bestimmen will, wo und wie sie ausgestellt werden, an wen sie ausgeliehen werden, etc. Also genau das, was er dem Künstler, der seine Schachfiguren produziert hat, nicht einräumt, das behält er sich selbst vor. Ein schöner Mäzen! Übrigens hat Ludwig durch einen Agenten verlauten lassen, er wolle mein Sammlerportrait von ihm kaufen. Daraus wird nichts, weil ich ihm diese Arbeit nicht verkaufe.

von Walter Grasskamp

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