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Titel: europa 79 · von Annelie Pohlen · S. 88 - 156
Titel: europa 79 , 1979

Annelie Pohlen
Eine Minderheit auf dem Weg zum morgen im gestern und heute

Zum italienischen Beitrag für “europa 79”

Ein Leopardenfell ist eingefügt, dort wo Wand und Fußboden aufeinanderstoßen. Von dem schwarzgestreiften Fell sprühen schwarze Spuren wie Blitze über eine an die Wand geheftete weiße Papierbahn. Das bleckende Maul ist gegen die Stirnwand des Flures gerichtet. Der Besucher trifft erst, wenn er um das Fell herumgeht, auf die aggressive Miene. Zuvor steht er gebannt von der Schönheit des Fells, nur leise ahnend, daß noch im toten Tier die Gewalt, die Aggression verborgen ist. Erhabene Schönheit und Energie eng gepaart mit Gewalt und Tod. Nino Longobardi installierte dieses Werk, das ,trotz’ seiner unsäglichen Einfachheit aufgeladen ist von abgründiger, zutiefst dramatischer Poesie, einer Poesie, die der Materie Form und Sein zugleich entlockt. Longobardi sah das Fell in einem Laden, fühlte sich betroffen von seiner Kraft, dem nebeneinander von lebendiger Energie und Tod, kaufte es und installierte es wie beschrieben, besetzte das Fundstück mit dem magischen Willen zur Form.

“Ich Zarathustra, der Fürsprecher des Lebens, der Fürsprecher des Leidens, der Fürsprecher des Kreises – dich rufe ich, meinen abgründlichsten Gedanken.” Als Nietzsche diese beschwörenden Worte niederschrieb, stand das geistige Abendland im Zeichen der Wehmut des ,fin de siècle’. Revolutionen waren sinnlos verebbt, der nationale und liberale Aufbruch von den erstarkten reaktionären Kräften und dem bürgerlichen Materialismus usurpiert, die Romantik nach ihrer Verzettelung in schwüler Schwärmerei vom trockenen Realismus und Naturalismus überrollt. Das Ende des 19. Jahrhunderts war in der Breite gezeichnet vom Mittelmaß eines stillos satten…


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