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Essay · von Klaus Honnef · S. 128 - 133
Essay , 1977

Klaus Honnef
Einwürfe

Ideenmangel?

Es sei unmöglich, auf einer Glatze Locken zu drehen, hat ein bekannter Spötter einmal behauptet. Als ich in Paris durch die Säle des Modernen Museums der Stadt und des Palais de Tokyo ging, um mir die 10. Biennale anzusehen, konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß es eine Reihe junger Künstler trotzdem versuchten. Mit bisweilen erschreckender Deutlichkeit zeigt die Biennale, wie sich allzu viele Positionen der avancierten zeitgenössischen Kunst darin erschöpfen, mit pompösem Aufwand über den beklemmenden Mangel an künstlerischen Ideen hinwegzutäuschen.

Symptomatisch für diese Haltung war für mich der Beitrag des schweizer Artisten Remy Zaugg: An den Wänden eines mit elf mal zwölf Meter äußerst großzügig veranschlagten Raumes hingen aus jeweils drei gleichförmigen Teilen bestehenden gleichfarbig weiß-graue Bilder in unterschiedlicher Rhythmisierung, von denen eines kleingedruckt das Wort ‘peinture’ trug.

Auf der anderen Seite signalisiert das kolossale Werk einen Trend in der zeitgenössischen Kunst, der allmählich alarmierend wirkt und zum Nachdenken Anlaß gibt. Und daß es sich um einen Trend handelt und hier nicht vereinzelte Standpunkte künstlerischen Schaffens über Gebühr hochstilisiert wurden, dafür bürgt die Zusammensetzung der internationalen Jury, in der nicht nur Museumsleute und Kritiker Westeuropas, sondern auch Jugoslawiens, der USA und Japans versammelt waren. Unabweisbar scheint der immer stärker betriebene Rückzug der avancierten Kunst aus dem Reich der Bilder zu sein. Davon können auch punktuelle Rückgriffe auf vorgeblich realistische oder expressionistische Stilmuster nicht ablenken. Verschlossen wie niemals zuvor treten die künstlerischen Werke dem Betrachter gegenüber, eine Geste der Verweigerung kultivierend.

Beinahe symbolisch mutete in diesem Zusammenhang das Projekt…


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