Kunstbrief aus Wien
Leben danach
von Helga Köcher
Sind die Neuen Wilden Propheten der Endzeit? Sie werden zumindest gern so interpretiert. In Wien gewinnt gegenwärtig in der Kunst ein Gefühl Gestalt, das eher mit dem “Danach” zu tun hat. Bei den Künstlern, die am ungebrochensten aus ihrer Motivation schaffen, scheinen Empfindungen durchzubrechen für das, was an Leben vielleicht bleibt, wenn alles andere vergangen ist.
Die Skulpturen des jungen Gerald Obersteiner (geb. 1956), die die Galerie Peter Pakesch unter dem Titel “Materialreisen” ausstellt, vermitteln solche Assoziationen. Die einfachen Formen aus Ton, Gips, Papiermache, Mullbinden, Stoff, Erde, Schlamm und Sand könnten vegetative Tiere sein, Würmer, Seesterne, Krokodile von einer unaggressiven Selbstverständlichkeit des Seins. Manchmal baut er sie über Drahtgerüsten auf, oft bemalt er sie mit Erdfarben, in warmen, unscheinbaren Tönen. Die Ölbilder Herbert Brandls (geb. 1959) – ebenfalls bei Pakesch, die sich immer mehr als Entdeckergalerie profiliert, – dominiert ein ungewohntes, grundloses Blühen, das mehr mit Klimt, Gerstl, auch Kokoschka zu tun hat als mit den Vorbildern der wilden Welle Kirchner und Heckel. Nicht Objekte, sondern lebendige Subjekte werden hier geschaffen, und es ist ihnen eine seltsam jenseitige Vertrautheit eigen.
Wien hat Antennen für das Kommende. So wie die Aktionisten eine damals unvorstellbare persönliche Freiheit vorwegnahmen, schaffen jetzt in Wien Künstler aus einer Ahnung von starkem, widerstandsfähigem Sein. Otto Mauer, der große Mentor der österreichischen Kunst der Fünfzigerjahre definierte einmal Kunst als “die Kostprobe einer kommenden Welt, um deretwillen wir das Beste unseres schwergeprüften Daseins, die Hoffnung haben dürfen”. Die neuen Fingermalereien Arnulf Rainers (geb. 1929) -…