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Essay · von B. Cookson · S. 208 - 223
Essay , 1974

B. COOKSON
Nach dem Grundvertrag : Hoffnungslosigkeit in der DDR

Wenn Günter Grass kürzlich in Paris die Überzeugung geäußert hat, daß die Freiheit des einzelnen Bürgers in faschistischen Ländern besser gewährleistet sei, als unter den sozialistischen Regimen im Ostblock, dann wundert lediglich die daran anknüpfende Milde seines Urteils. Die DDR dürfte nach meinem Eindruck heute der größte Polizeistaat der Welt sein, obwohl 12 Jahre Hitlerdiktatur und nunmehr 25 Jahre sozialistische Unterdrückung ihr Ziel nicht verfehlt haben: Es herrscht dumpfe Niedergeschlagenheit, kein Gedanke an Protest, geschweige denn an Streik oder Auflehnung. Das Debakel in der Tschechoslowakei hat die Grenzen freier Entscheidungen im Ostblock nur zu deutlich gemacht. Man arrangiert sich, so gut es geht. Tröstet sich mit dem polnischen Nachbarn, der zumindest wirtschaftlich noch schlechter dasteht. Daß man nach wie vor wichtige Industriegüter weit unter Herstellungspreis zum ‘Großen Bruder* liefern muß, hält man für eine unabänderliche Folge des verlorenen Krieges, und man akzeptiert notgedrungen die Maxime von Gleichheit unter den Menschen, hoffend, daß sich irgendwann der Lebensstandard nach unten eingependelt haben wird, und dann die persönlichen Anstrengungen auf der Habenseite des eigenen Lebens zu Buche schlagen werden. Aber noch scheint das ein vergeblicher Wunschtraum zu sein. Die Arbeitsnormen sind äußerst hart, und die roten Spruchbänder, die das Bild der langsam verfallenden Städte und Dörfer bestimmen, verkünden eher schlimmere Zeiten: ‘Aus jeder Mark, jeder Stunde Arbeitszeit, jedem Gramm Material ein größerer Nutzeffekt!’ Den notwendigen Optimismus zum Überleben speist man mit Hinweisen auf die niedrigen Mieten und die Brötchen, welche noch immer – staatlich…


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