vorheriger
Artikel
nächster
Artikel
Monografie · von Wolfgang Becker · S. 130 - 139
Monografie , 1973

Wolfgang Becker
Ben Schonzeit

1971 sagt Ben Schonzeit: ‘Ich lag buchstäblich mit den Ellbogen und Knien in der Farbe.’

1964 sagt James Rosenquist: ‘Die Farbe tropft mir aus den Achselhöhlen’.

Der Vorgang ist ein Atavismus der Kulturgeschichte, ohne den es keine Kunsttheorie gäbe. ‘Merkwürdige Dinge begannen zu passieren’ (Schonzeit). ‘Ich habe eine ganze Menge Arten gesehen, wie Farbe Form annimmt, und was sie tut und was ich aufregend fand und was nicht’ (Rosenquist). Keine Theorie kann sich vor diesem ursprünglichen Erlebnis drücken. ‘Ich brachte Farben nach Hause, die ich liebte, Farbverbindungen, die ich gerne in meiner abstrakten Malerei verwendete. Ich erinnerte mich an Besonderheiten: das war das Braun einer schmutzigen Speckdose, das war das Gelb eines gelben Sporthemdes, dies war ein Man-Tan-Sonnenöl-Orange. Ich erinnerte mich an eine spezifische Farbe, wie man sich an ein Alphabet erinnert’ (Rosenquist). ‘… ich lehrte Kunst an einer Oberschule und wollte meinen Schülern beibringen, den abstrakten Wert der Dinge um sie herum visuell zu begreifen. Wenn ich Design lehrte, sprach ich über Schaufenster und Obstauslagen. Der Obsthändler, der Ananas ausstellte, war irgendwie ein Künstler’ (Schonzeit). Bekenntnisse des Künstlers zu seinem eigenen Environment, assoziative Impulse, die das ‘große Abstrakte’ und das ‘große Reale’ in Frage stellen, müssen dem Kunsttheoretiker verdächtig erscheinen. Der Kunsttheoretiker liebt solche Äußerungen: ‘Als Künstler mache ich Kunst um der Kunst willen, ich arbeite mit Farbe und strukturiere rohe Materialien zu einer einheitlichen Äußerung – hoffentlich einer Äußerung, die nicht nur klar, sondern auch gleichzeitig vieldeutig ist. Wenn einer sagen kann, daß ein Bild vom – sagen wir -Krieg handelt, dann stirbt es, sobald Sie es herausfinden, als ob Sie ein Kreuzworträtsel gelöst hätten. Wenn ein Bild nicht auf eine spezifische Bedeutung festgelegt werden kann, dann wird es lebendig bleiben’ (Schonzeit).

Das Dilemma strapaziert. Wir stehen vor den Werken eines Malers, der bekundet, Freude am Malen zu haben. Er bezieht fotografische Zitate in seine Bilder ein, er malt geradezu Fotos ab. Nun haben sich, obwohl wir es widerwillig zur Kenntnis nehmen, seit der Mitte des 19. Jahrhunderts Maler fotografischer Vorlagen bedient. Und bevor die Fotografie existierte, haben sie sich gezeichneter oder gedruckter Vorlagen bedient. Und bevor gezeichnete oder gedruckte Vorlagen existierten, haben sie sich bestimmter Modelle bedient. Eine Madonna Raphaels reproduziert u.U. ein Mädchen, das nicht bereit war, sich mit dem Leben der Jungfrau Maria zu identifizieren. Der Akt, den Boucher als lustvolle Maitresse darstellte, war die Gattin eines Bäckers, die nach einem Nebenverdienst suchte. Unser Verständnis für ein Bild schließt die Sehnsucht ein, was es darstellt, zu identifizieren. Die Widersprüchlichkeit der Erkenntnis, die der Wahrnehmung folgt, erzeugt Unsicherheit und Spannung. Das Bild ist ein Fenster, das zugleich einen Ausblick auf die Wirklichkeit gestattet und sich als Fenster von besonderer Struktur, Farbigkeit und Dichte bemerkbar macht. Das menschliche Auge besitzt nicht die Schwäche oder Stärke, sich wie das Objektiv der Kamera auf eine bestimmte Brennschärfe einzustellen.

Vielleicht wird es ihm nach hundert Jahren gelingen, denn die Objektive von Kameras bestimmen zunehmend unsere Sehweise. Ein Zoom, den heute ein Kameramann in einem Italo-Western dreht, der schmerzvoll hastige Zug vom Tele- in den Weitwinkel erscheint uns fast selbstverständlich, und nur zuweilen erholen wir uns in Filmen, die mit gleichem Objektiv Bild an Bild reihen.

Schonzeit reflektiert diesen Erziehungsprozess unserer Augen. Damit es uns nicht allzu schwer fällt, diesen Prozess zu begreifen, in dem sich unsere eigene Wahrnehmungsmechanik befindet, verdeutlicht er ihn an Sujets, die auch dem Europäer, wenn auch weniger als dem Amerikaner, diesem wiederum weniger als dem New Yorker bekannt sind. Anders als sein Vorgänger Rosenquist greift Schonzeit nicht auf bereits reproduzierte Gegenstände, auf Projektionen der Massenkultur zurück. Er fotografiert die Gegenstände selbst, sie stammen also aus erster Hand. Daß sie uns vertraut erscheinen, ist nicht eine Folge dessen, daß auch wir sie in der Presse oder dem Fernsehen gesehen haben, sondern dessen, daß sie aus einer Schicht der Trivialkultur stammen, die uns seit altersher vertraut ist. Nippes, bric-a-brac, Kinderspielzeug, Gemüse, Talmi, falsches Silber, falsche Edelsteine bilden den gemeinsamen Nenner unseres Verständnisses.

Anders als Rosenquist interessiert sich Schonzeit nicht für Vergrößerungen, sondern für Verkleinerungen. Er vergrößert nicht Kleines, sondern verkleinert Großes. Sind diese Gegenstände schon dadurch, daß er sie malt, in eine neue Relität gesetzt, so besitzen sie selbst eine Wirklichkeit, die das Derivat einer anderen ist. Eine Spielzeugkanone für Kinder ist nicht nur eine Spielzeugkanone für Kinder, sondern die Verkleinerung einer Kanone für Erwachsene. Fast alles, was Schonzeit malt, ermangelt so der autonomen Realität, ist so weit funktionalisiert, daß es keinen Eigenwert mehr besitzt, wird selbst durchsichtig, wenn der Betrachter die Brennschärfe verändert, und gestattet, einen anderen Gegenstand wahrzunehmen. Wir beobachten ein dauerndes Spiel mit dem Fenster zur Wirklichkeit. Schablonen geben Umrisse von Tieren anlassen aber den Durchblick auf eine Landschaft zu. Das Tier ist eine Landschaft, die Landschaft ein Tier. Und letzten Endes ergeben sich alle Wirklichkeitsfragmente einem Farben- und Formenspiel, das über sie hinausweist, verschlungen ‘psychedelisch’ ist, als blickten Augen hinter beschlagenen Brillengläsern in die Landschaft. Die Farbigkeit ist die des dargestellten Kitsches. Grell, deftig, zuweilen brenzlig, ebenso nahe manchen gegenständlichen Bildern von Rosenquist wie manchen abstrakten von Lawrence Stafford. Ein Farbenakkord von Violett zu Orange, der seine größte Aggressivität auf der keramischen Oberfläche eines Porzellanpferdes entfaltet, zerfließt aber defensiv bei unscharfer Linseneinstellung. Der Gegenstand hat sein Podest verloren, versinkt in einem farbgetränkten Wellenbad, als sei er nur noch Erinnerung an sich selbst. Alle diese Gegenstände werden uns verloren gehen, nach denen des preziösen Luxus auch die des trivialen Luxus. In seinem Farbenenthusiasmus bekundet der Maler eine Angst vor Farblosigkeit, die auf uns zuzukommen droht. Die Dinge sind wertlos, ihre Schönheit ist die der Illusion, der Erinnerung, der Sehnsucht. Die vitale Farbigkeit der Bilder läßt aber solche Sentimentalität nicht aufkommen. Sie widerspricht ihr, und so wird der Träger der Information selbst verdächtig.

Das Bild bleibt in sich selbst beschlossen, als reales abstrakt, als abstraktes real.

Zur Beantwortung einiger Fragen seines europäischen Händlers, Mike Cullen, schrieb Ben Schonzeit den folgenden Brief.
(leicht gekürzt)

9. August 1971

Lieber Mike,
Über meine Arbeit schreiben, fällt mir ziemlich schwer. Bilder malt man normalerweise und faßt sie nicht in Worte, da es mir aber offensichtlich Spaß macht, auf der Schreibmaschine zu klappern, lassen sich diese beiden Impulse möglicherweise verbinden. Zur Sache… Ich habe immer vermieden, über meine Arbeit zu reden. Dabei passiert nämlich Folgendes: Will ich sie erklären, reißt mich das aus meinem natürlichen Arbeitsprozeß heraus und bringt die verdrehte Wahrheit an den Tag, weshalb ich das alles überhaupt tue. Am liebsten überlasse ich es den Leuten, darin zu sehen, was immer sie wollen. Ich gebe zu, daß ein paar Erklärungen nötig sind, deshalb will ich erst einmal über die breite Basis meiner Arbeit reden und dann erklären, welche Beziehung diese Sachen zu den Bildern haben, die ich in deiner Galerie zu zeigen hoffe. Einiges davon habe ich dir wohl schon erklärt und ich bin sicher, du verstehst fast alles. Ich hoffe es wenigstens.

Die Bilder entstehen, indem ich mit einer Spritzpistole Acrylfarben auf die Landwand spritze, während ein Dia auf die Leinwand projiziert wird. Ich beginne im Halbdunkel zu arbeiten und schalte dann, während das Bild entsteht, die Lichter an. Wo sich etwas besonders deutlich abhebt, zeichne ich den Umriß dieser Flächen mit Bleistift dem projizierten Dia nach und verdecke die Ränder dann mit Klebstreifen. Enthält das Bild eine Vordergrund-Hintergrund-Situation, wird zuerst der Vordergrund gemalt, damit ich dann auf den schon fertigen Vordergrund viele Dias projizieren kann, so daß ich beide gleichzeitig sehen und entscheiden kann, welches am besten paßt. Für gewöhnlich habe ich, wenn ich ein Bild anfange, schon eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie die Farben und die Struktur des Hintergrunds aussehen sollen, dagegen aber nur ein unbestimmtes Gefühl von dem eigentlichen Gegenstand des Hintergrunds. Das führt dazu, daß ich Dias betrachte, (tausende) – von Akkordeons bis zu zoologischen Gärten – auf der Suche nach irgendetwas Bläulich-violettem, das im Verhältnis zur Form, Struktur und Inhalt des Vordergrundmaterials ebenso Bedeutung gewinnen kann wie auch nicht. Manche Bilder haben gar keinen Vordergrund und ich setze andere Mittel ein; um räumliche Bezüge herzustellen (wie z.B. BUILD WITH ME) – z.B. das Überlappen verschiedener Bilder oder einfach nur die Schärfeeinstellung. Nachdem ich mich für einen Hintergrund entschieden habe, wird der Vordergrund ganz mit Klebstreifen abgedeckt und der Hintergrund vorerst noch undeutlich gemalt, noch weniger scharf als die Dinge im Vordergrund. Hier versuche ich, den eigentlichen Raum des Bildes herzustellen.

Dieser Raum ist meistens flach und bildet eine zur Wand, an der das Bild hängt, parallele Ebene. Malte ich Decken, ich würde sicherlich sehr oft auch Himmel malen… Also: Projektor, Klebstreifen zum Abdecken, Spritzpistole – kapiert?

Aber warum das? Was hat es mit solchen Bildern auf sich? Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, sie handeln ebensosehr von Farben wie von irgendetwas anderem? Bis zu einem gewissen Grad tun sie das tatsächlich, aber da ist etwas, das kann ich dir einfach nicht erklären, in diesen kleinen wackligen Dingern, die zu größeren wackligen Dingern werden, die dann Worte nennen… wie Orange, Schwarz, Blau, Gelb. In allen Bildern sind Farbsysteme wirksam und die Zusammenstellung von Dias in einem Bild hat sehr oft mit den in ihnen enthaltenen Farben zu tun. Das sagt so gut wie gar nichts aus über die Cowboys, Kuchen, Früchte, Tierbilder, Messer, Spielzeuge, Figuren… die meist nur Bilder, Abstraktionen von bereits abstrahierten Sachen sind. Zum Beispiel ist eine Spielzeugpistole keine Pistole, sie ist die Darstellung einer Pistole, schon vereinfacht, auf ihr Wesentliches zurückgeführt von einem… Pistolendesigner.

Ich muß wohl nicht erwähnen, daß ich meine Fotos alle selber mache. Vielleicht ist die Art und Weise, wie ich zum Fotografieren gekommen bin, für das Verständnis des Materials, mit dem ich arbeite, nützlich. Vor ein paar Jahren (1966-1969) gab ich Kunstunterricht an der Oberschule (James Madison) und wollte meine Schüler dazu bringen, ein bißchen mehr visuelles Verständnis für den abstrakten Wert der Dinge in ihrer Umwelt zu entwickeln. Ich lehrte Design, indem ich über Schaufenster und Obststände redete. Der Gemüsehändler, der seine Ananas für die Auslage arrangierte, war auf seine Art ein Künstler. Dann war da die Volkskunst – weißt du, dieses Pop-Zeugs – Reklamen von hitzestrahlenden Brötchen – Ritz-Cracker auf den Seiten eines Nabisco-Lasters… Ich arbeitete mit Kings Highway, Brooklyn, New York City woher ich stamme, aber wo ich schon lange nicht mehr bin. Jetzt bin ich jedenfalls hier, renne mit einer geborgten Kamera durch die Gegend und finde überall auf dieser verdammten Welt Kunst und komme zurück ins Studio und hole aus völlig Abstraktem, nicht Gegenständlichem, auf die verschiedensten Arten geformter, bespritzter, bekratzter übergrosser Leinwand metallisch-harte und weich-umränderte Bilder. Ich hockte buchstäblich bis zu den Ellbogen und Knien in der Farbe, war sehr von Farben in Anspruch genommen. Plötzlich passierten merkwürdige Dinge. Die Dias hatten viel spannendere Farben als meine Bilder. Diese verdammten Dinger hatten etwas spezifisch Eigenes und, auf eine viereckige Leinwand projiziert, verursachten sie mir eine teuflische Lust, sie zu malen. Meine Spritzpistole war zu groß, ich mußte mir eine kleinere besorgen und lernen, wie man damit umgeht… das Leben ist lang… nachdem ich zu unterrichten aufgehört hatte, besorgte ich mir eine und spritz, spritz, da bin ich.

Aber im Ernst, etwas Merkwürdiges passierte, als ich meiner Klasse die Dias zeigte. Ich zeigte ihnen ein Rhabarber-Dia und niemand wußte, was das war. Mit der fortschreitenden Standardisierung wird man vielleicht eines Tages bestimmte Früchte überhaupt nicht mehr anbauen, wie kürzlich einer der größten Autohersteller seine Cabrioletproduktion eingestellt hat. Eine völlig überflüssige Frucht, also habe ich kurz darauf das einzige Bild, das es davon gibt, gemalt, RHUBARB AND HATS. Vielleicht können wir es dir schicken, falls du es willst. Ich habe den Rhabarber wegen seiner rosa Farbe verwendet, hinter dem Silber eines Umhangs und den Pailletten eines Zylinders. Das Bild handelt von Rosa und Silber. Warum nun der glitzernde Zylinder usw. von einem Dia, das ich auf dem Pariser Flohmarkt aufnahm? Symbole, Abstraktionen Kostüme und kostümierte Gegenstände. Die Leute wollen immer wissen, warum ich keine Leute male. Aber ich male ja Leute, sie sind nur so verstreut über meine Bilder. ‘Naja, ich weiß, aber ich meine richtige Leute, verstehst du?’ Ich verstehe, aber richtige Leute interessieren mich nicht. Oh, ich mag die Leute, aber als Thema meiner (meist völlig abstrakten) Bilder wären sie einfach zu lebendig. Der Film scheint mir der richtigere Ort für Leute, nicht ein Rechteck auf der Wand. Leute handeln von Bewegung, ein Bild ist immer unbewegt. Die Leute, die ich male, sind in ihrer Bewegung aufgehalten worden, sind immer erstarrt, Puppen, Bilder wie die kleine Szene in 40 COUPONS.

Es ist wichtig zu erinnern, daß ich immer auf der Suche nach abstrakter Farbe in der Wirklichkeit bin. Eine für Kinder vereinfachte Szene zu Erziehungszwecken – wie der Hirte in BUILD WITH ME- hat mehr Farbe, mehr bildhafte Wirklichkeit als irgendein Kerl auf einem Hügel mit ein paar Schafen. Ich muß dahinter kommen, was es mit dem Spielzeug und der Kultur auf sich hat.

Meist stellen die Spielzeuge, mit denen ich arbeite, Tiere dar, verherrlichen Gewalt, stellen Erwachsene als Helden dar, oft so, wie die Erwachsenen sich selbst sehen. Das Spielzeug benutze ich dazu, Wissen über Tiere zu vermitteln. Tiere, mit denen der moderne Mensch in seinem Leben wenig zu schaffen hat. Tiere – wie etwa in CATALINA CUTOUTS – werden zum Wirklichen. Für den Stadtmenschen ist das, was er als die Wirklichkeit der Tiere begreift, eigentlich eine Illusion. Wir lassen nur diejenigen am Leben, die wir in der Stadt halten können – ausgenommen Ratten – und auf dem Lande nur diejenigen, die wir essen können. In New York, wo wir wohnen, wurde ein Festival veranstaltet, wo auf einer Art Zoo-Transporter mehrere häufig auf dem Lande vorkommende Tiere vorgestellt wurden. Niemand schien sich daran zu stören, daß das Schwein in einem Ziegenstall steckte und die Ziege dort war, wo eigentlich die Hühner hätten sein sollen usw. … Einige fanden es offensichtlich komisch, daß die Ziege eine so merkwürdige Schnauze hatte und es war in der Tat eine höchst merkwürdige Ziege… daß es sich in Wahrheit um ein Schwein handelte, schien niemandem in den Sinn zu kommen. Leute, die über Tiere bescheidwissen werden immer seltener. Ich habe mir vorgenommen, diese häufig vorkommenden, bekannten Tiere so darzustellen, daß nur ihre Form erkennbar ist – vielleicht, damit das Wissen um diese Tiere erhalten bleibt.

Nahrungsmittel verwende ich bei meiner Arbeit hauptsächlich ihrer Farbe und Struktur wegen, als ein Symbol der Natur. Einen Teil der Natur, zu dem wir die unmittelbarste Beziehung haben. Nahrungsmittel haben ihr Eigenleben, eins, das wir sehr leicht verstehen können.

Irgendjemand hat irgendwo geschrieben, daß mir das Malen von Nahrungsmitteln große Freude macht. Das macht es wirklich. Aber es ist mehr als das – manchmal ja, manchmal nein. Wenn ich die Stadtlandschaft unter die Lupe nehme, sind Bäckereien und Nahrungsmittelläden oft das Einzige, was mich wirklich erregt. Und dann noch dieses vermischte Zeugs, das über| all in meinen Bildern auftaucht. Die Juwelen, Messer, Figuren stammen aus der Mittelschicht, manchmal aus der Unterschicht – Stadtlandschaft. Viele von diesen Sachen, die ich male, gehören in die Kategorie der Fernseher-Nippes. Die meisten Farben dieser Stadt – grelle Farbenfreude – findet man in den Hippie-Gebieten und den lateinamerikanischen Vierteln. Wenn ich mich zum Fotografieren aufmache, lande ich meistens inmitten farbenfrohen billigen Gerumpels und halte Ausschau nach einem Super-Violett. Ich möchte meine Gegenstände aus dem Jetzt nehmen, Dinge, die schon morgen wieder auseinanderfallen.

Ich rede hier andauernd über die Gegenstände meiner Arbeit und versuche glaubhaft zu macher, sie seien so zusammengestellt, daß sie zu einer Erscheinungsform dessen werden, wofür sie stehen. Gewiß, ich arbeite nach bestimmten Richt-)linien, aber wenn ich meine Fotos mache, sehe ich auch das Bild schon vor Augen. Die Fotos anderer Fotografen kann ich nicht verwenden, in erster Linie wegen der flachen Raumvorstellung, hinter der ich so sehr her bin. Offenbar mache ich meine Sachen häufig in einem Maßstab, der grundlegend zum Verständnis meiner Arbeit ist. Ich tendiere dahin, winzige Dinge riesig und riesige Dinge – wie in den Szenen CATALINA CUTOUTS und GOLDEN DELICIOUS – sehr klein zu malen. Wenn ich von der Stadtlandschaft rede, meine ich wahrscheinlich, daß man ganz kleine Dinge so groß wie Berge malen kann. Ich arbeite aus der Vogelperspektive, wo die Gegenstände schwerelos werden, im Raum des Bildes schweben, in einer Welt, wo alles passieren kann. Und doch sind das keine surrealistischen Bilder. Surreale Malerei bewegt sich parallel zur Wirklichkeit – sehr realistisch zwar, aber auch mit merkwürdigen Verdrehungen. Was ich mache, hat mit der Manipulation der Erscheinungsform zu tun, mit der Erforschung ihres abstrakten Potentials in Bezug auf die Aktivitäten in der augenblicklichen abstrakten und nichtgegenständlichen Malerei. Realistische Malerei interessiert mich nicht besonders. Ich werde oft in einem realistischen Kontext gesehen – aus Gründen, die auf der Hand liegen – aber meine Bilder haben einen ganz anderen Sinn. Ich male keine Szenen, obwohl ich nach Fotos arbeite und die Bilder fotografisch sehr genau sind. Was ich hervorbringe, ist nicht ein Bild mit bestimmten vordergründigen Sachen, sondern ein Versuch zu sehen, was sich mit Design, Farbe und Gegenstand machen läßt, eine Malerei, die bisher noch nicht erforscht ist.

Während sich die Malerei bereits in die verschiedensten Richtungen hin entwickelt hat, malen die Realisten noch immer Zimmer. Wie die Welt aussieht, hat nichts damit zu tun, wie die Malerei aussieht oder aussehen sollte. Jeder weiß das, oder? Wie stellt man zum Beispiel Raum her? Es gibt die Perspektive. Ich verwende sie nie. Es gibt den Maßstab, ich verwende ihn nie in der üblichen Weise. Und dann gibt es die Schärfe. Damit schlage ich mich die meiste Zeit herum. Meistens arbeite ich mit ziemlicher Entschiedenheit. Solange ich mit der Spritzpistole arbeite, sind das Einzige, was ich auf der Oberfläche des Bildes befindet, die abgedeckten Ränder. Sie bezeichnen einfach eine Trennung zwischen Plänen, Entscheidungen.

Kommen wir zur Form. Der Artikulation einer zweidimensionalen Form. Bis vor Kurzem dachte ich immer, wenn man es mit der Form einer Kuh zu tun hat, muß man auch eine Kuh in die Form hineinmalen. Es gibt aber überhaupt keinen Grund, weshalb man nicht ebensogut eine Nachtbar hineinmalen sollte. Einzig und allein die Form bedeutet bereits Kuh. Ich kann eine ganz neue Ebene von Aktivität in meine Arbeit bringen, indem ich zwei Szenen verwende, zwei Flächen, die sich nur durch ihre Form voneinander abgrenzen und deren Form auch völlig unabhängig von der jeweils abgebildeten Szene ist – wie in GEORGE PALETTES, CATALINA CUTOUTS, GOLDEN DELICIOUS und genau entgegengesetzt in OLE, BOOT LAMP und den meisten meiner früheren Arbeiten. In einigen von diesen Ausschnitt-Bildern kann ich Interieurs und Landschaften derart behandeln, daß die Vordergründigkeit der Bilder nicht gestört wird. Dadurch, daß man hierbei den Inhalt der Umrisse als Oberfläche sehen kann – Umriß einer Kuh mit Szene darin – wird räumliche Tiefe in den Vordergrund gebracht, während die Umrisse doch weiter wie ein Fenster wirken. Diese Szenen werden zu Bildern im Bild. Ein Bild im Bild kann alles sein. Es ist die dargestellte Oberfläche, In 4O COUPONS verfolgt mich die Szene eines Jungen mit Pistole, ein Mann mit erhobenen Händen, jemand, der unter einem Baum steht. Als Szene in der Szene erreicht sie einen Grad der Wirklichkeit, der ziemlich rein ist und trotzdem absolut nicht realistisch.

Du fragst mich, ob diese Gegenstände Symbole seien oder bloße Statements. Sie sind beides, oder nicht? Sie stammen aus dem Klima des heutigen Amerikas. Überall stößt man auf Bilder der Gewalt. Die Ikonographie des Western ist universal geworden wie die der Samurai. Einige der größten Western sind von Italien gemacht worden… Der Western handelt von Bravour, von klarer Trennung zwischen Gut und Böse, ein Gegengift zur modernen Mechanisierung… er ist vollkommen entleert von Wirklichkeit, total romantisch, eine reine Abstraktion, mit der ich arbeiten kann. Die Nahrungsmittel stehen für ‘Mutter’ Natur. In der Stadt heißt Natur meistens Wetter – beschränkt sich auf warm, kalt, Regen – ist aber meistens nicht sehr dramatisch; Nahrungsmittel und Menschen. Nahrungsmittel sind ja auch erste Handelsware und ich erfahre immer mehr über das, was als ‘das Neueste’ auf den Markt kommt. Meine Arbeit erwächst aus meiner Suche nach Farbe an einem sehr trostlosen Platz, New York, der Kulturmetropole – wahrscheinlich einfach weil sie so verdammt trostlos ist. Weißt du, das Häng-dir-was-Hübsches-vors-Fenster-Syndrom.

GEORGES PALETTES, bestimmt kein bedeutendes Werk, enthält doch einige Aspekte meiner Arbeit, über die ich reden möchte. Es ist aus zwei Dias gemacht, eins von einem auf Pappe gemalten und ausgeschnittenen Bildnis von George Washington, das bei uns in der Küche hängt, das andere von Plastiktulpen, die vor einem Blumenladen der Innenstadt stehen. Da wird nun George W., ‘unser Landesvater’, verpackt und auf Pappe gedruckt, zu Erziehungszwecken in unsere Kinderzimmer gehängt. Die Paletten sind nicht wirklich das Handwerkszeug eines Künstlers, eher wohl ein Symbol für seine Tätigkeit. In der Palette sind Tulpen, Plastiktulpen wie gesagt. In dem Maße, wie Kultur sich verbreitet, entwickelt man Gegenstände als Ersatz für den wahren Jacob. Hier, nimm, steck’s in deinen Garten und begieß es schön. Astrorasen, grüner als Gras. In Kalifornien habe ich Leute gesehen, die ihre Blumen – Plastik selbstverständlich – morgens an die Luft stellten und abends wieder ins Haus holten.

Jetzt haben wir also die Plastiktulpen und den Pappausschnitt von George Washington aus meiner Küche und ein paar Paletten, einer nachgezeichneten, die ich mir kaufte, um meinen Werkzeugbestand aufzumotzen, als ich noch an der Kunstschule war.

Diese Palettenform gibt es jetzt als Displaystück für Lidschatten und in den Anzeigen der Kunstschulen als Teil der Käppi-Kittel-Paletten-Aufmachung, ein Image, das in der Mittelschicht noch immer vom Künstler herumzuspuken scheint. (Ich kenne viele Künstler und nicht ein einziger von uns hat je eine Palette benutzt – Eimer, Töpfe, Walzen, alles außer Paletten!) Ein stimmiges Mischmasch inhaltsschwerer Gegenstände der Malerei. Wie diese irrwitzige Stiefel-Lampe. Ein großer Volkskunst-Designer am Werk. Eine perfekte Verbindung zwischen der Kunst des Fotografen, des Schuhmachers und des industriellen Künstlers, um einen Gegenstand von großer Kraft herzustellen.

Die Bilder, die ich mache, sind sehr oft grell und grob, die Themen nie die feinsten. Ich konzentriere mich (oder auch nicht) oft auf Dinge, die sonst meist als wertlos abgetan werden… und sicherlich auch keinen wirklichen Kunstwert haben… Ich hoffe, dem Betrachter eine erhöhte Erfahrung und Bewußtheit angesichts jener Dinge zu vermitteln, denen man tagtäglich begegnet. Als Künstler – meine Kunst handelt von Kunst – arbeite ich mit Farbe und der Strukturierung roher Materialien, um zu einer verständlichen Aussage zu kommen – einer Aussage, die hoffentlich beides ist, klar und undeutlich zugleich. Wenn man sagen kann, daß ein Bild – sagen wir – vom Krieg handelt, dann stirbt es, sobald man dies erkannt hat, so als wäre man mit einem Puzzle fertig. Nur wenn ein Bild nicht auf eine spezifische Bedeutung festzunageln ist, bleibt es am Leben.