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Essay · von Willi Bongard · S. 110 - 112
Essay , 1974

A propos Clement Greenberg:

De gustibus est disputandum !
VON WILLI BONGARD

Zu den bewährtesten Methoden, mit einem Menschen in Streit zu geraten, zählt immer noch, dessen Geschmack in Zweifel zu ziehen. So etwas tut man denn auch besser nicht. Wem es nicht schon im Elternhaus beigebracht worden ist, der hat es spätestens in der Schule, allerspätestens im Tanzkurs gelernt: ‘De gustibus non disputandum est.’

Die gängige Übersetzung dieser lateinischen Spruchweisheit (‘Über Geschmack läßt sich nicht streiten’) ist demnach falsch. Sie widerspricht zudem jeder Logik und praktischen Lebenserfahrung. Denn natürlich läßt sich über Geschmack streiten, und zwar vortrefflich! Eben weil Geschmack unbestreitbar – im Sinne von unbeweisbar – ist.

Geschmack, das ist nachgerade der Inbegriff von Subjektivität, auf alle Fälle das Gegenteil von Objektivität. Also gibt es auch nicht nur einen Geschmack. Vielmehr deren – mindestens – zwei: Den ‘guten’ und den ‘schlechten’. Was ‘guter’ Geschmack ist, läßt sich beim besten Willen nicht sagen. ‘Schlechter’ Geschmack ist im Zweifel immer derjenige, den der andere hat. Kern Wunder also, daß es über Geschmacksfragen regelmäßig zu Streitigkeiten kommt. Um so tröstlicher die Erfahrung, daß sich solche Streitigkeiten verhältnismäßig leicht beilegen lassen – eben unter Hinweis darauf, daß Geschmack letztlich ‘Geschmackssache’ ist. Es gehört gewissermaßen zu den Spielregeln von Geschmacksdiskussionen, zum ethischen-ästhetischen Minimum, den Geschmack des jeweiligen Meinungsgegners zu respektieren. Wo kämen wir sonst hin?

Diese Frage stellt sich aus gegebenem Anlaß. Es gibt nämlich, so unglaublich das auch klingen mag, einen Mann, der da allen Ernstes behauptet, daß Geschmacksurteile nicht nur ‘objektiv’ sein können, sondern auch sollten -…

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