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Titel: Zwischen Erinnern und Vergessen · von Beat Wyss · S. 222 - 223
Titel: Zwischen Erinnern und Vergessen , 1994

Beat Wyss

Die Hegelsche »Aufhebung«
oder: kurze Meditation überdie Dollarnote

Noch heute winkt uns das Arkanum der Moderne in verschlüsselten Zeichen – to whom it may concern – in unseren Alltag hinein: als vergessene Erinnerung an das Versprechen einer vollendeten Zukunft. Nehmen wir die Dollarnote aus dem Portemonnaie: Sie zeigt ein Porträt George Washingtons, das ihn wiedergibt um die Zeit, als das Kapitol der nach ihm benannten Hauptstadt gebaut wurde. Der Grundsteinlegung von 1793 hatte er im Maurerschurz beigewohnt und somit seine Mitgliedschaft zu einem Geheimbund öffentlich gemacht. Die Freimaurerei verstand sich als verborgener Eckstein,der begraben werden mußte, um seine Bestimmung zu erfüllen: das Haus der erneuerten Gesellschaft zu tragen. “Des Maurers Arbeit … zwar jetzt unter freiem Himmel geschieht, wo nicht immer im Verborgenen, doch zum Verborgenen”, läßt Goethe in den “Wahlverwandtschaften” den Maurer bei der Grundsteinlegung des Neuen Hauses sagen. Die Umwandlung der Menschheit geschieht unterirdisch, doch überirdisch soll sie dem Volk zugute kommen. Wühlarbeit für das Gute: Von der Loge bis zu Lenins Partei neuen Typs versteht sich Erneuerung als Wohltat im Geheimen. Das Konspirative gehört zum messianischen Pathos der Moderne.

Selbst im äußerlichsten Bereich des Liberalismus, im Geldverkehr, werden unterirdische Zeichen gegeben. Die wenig beachtete Rückseite der Dollarnote ist geziert mit den Emblemen des Great Seal, des Pendant-Siegels der Vereinigten Staaten von Amerika. Auf dem Revers zeigt sie eine Pyramide, deren unvollendete Spitze vom Dreieck des göttlichen “All-Seeing-Eye” vorweggenommen wird. Die Gestaltungsidee stammt von Vicepräsident Henry A. Wallace, und Präsident Roosevelt hat sie gutgeheißen: Beide waren Freimaurer im 32. Hochgrad….

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