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Titel: documenta X · von Richard Sennett · S. 52 - 62
Titel: documenta X , 1997

Differenz und Indifferenz

Richard Sennett über den »Körper und die Stadt in der Westlichen Zivilisation«

1. Differenz und Indifferenz

Greenwich Village

Wie so viele andere hatte ich mir den Weg nach Greenwich Village hineingelesen, bevor ich dann vor zwanzig Jahren wirklich dort ankam. Ich lernte es auf den Seiten von Jane Jacobs Tod und Leben großer amerikanischer Städte kennen. Das Village erscheint in dem berühmten Buch als das prototypische urbane Zentrum, das Gruppen mischt und durch seine Vielfalt stimulierend wirkt. Anders als in Harlem oder in der South Bronx, meinte Jane Jacobs, lebten hier die Rassen konfliktlos zusammen, wie auch die weiße ethnische Mischung aus Italienern, Juden und Griechen. Das Village erschien ihr als moderne Agora im Herzen New Yorks.

Der Ort, den ich vorfand, widerlegte sie nicht. Hatte das Village 1970 auch schon viele der Kinder dieser Immigranten an die Vororte verloren, war doch die Gemeinde noch immer vielfältig und tolerant. Teenager, die woanders warme Betten mit sauberen Laken hatten, schliefen unter freiem Himmel auf dem Washington Square, in den Schlaf gesungen von miteinander wetteifernden nächtlichen Folksängern, von Dieben unbehelligt und unbelästigt von der Nähe derjenigen, die sonst nirgends einen Platz zum Schlafen hatten. Die gepflegten Häuser und Straßen des Village trugen zu dem Eindruck bei, daß dieser Ort sich vom restlichen New York unterschied. Hier schien es noch einen Sinn für die Gemeinschaft auch unter Fremden zu geben, hier war man relativ sicher.

Das Village ist auch heute noch ein Raum der Unterschiede. Es gibt noch immer Konzentrationen von italienischen Familien, die entlang der…

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