Johannes Meinhardt
ZEN 49
Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, 6.12.1986-15.2.1987
ZEN 49 ist die erste Ausstellung einer Reihe, die die vieldeutige und in vielen Bedeutungen problematische Zeit des »Wiederanfangs« nach 1945 zu beleuchten und zu erhellen versucht, einer Reihe mit dem Titel: Die ersten zehn Jahre – Orientierungen. Und sicher entfaltet ZEN 49 sein bedrückendes Potential für denjenigen, der sich zu erinnern vermag, noch deutlicher als für den Nachgeborenen, der sich nur mit Mühe in die extreme Beengtheit und Trostlosigkeit dieses Neubeginns findet, welcher doch nur das (überwiegend schlechte) Alte repetierte und darüber die Möglichkeit eines Neuen weitgehend versäumte. Solche Erfahrung, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens umfaßt, konnte auch die Kunst nicht ausklammern; auch in ihr zeigte sich die Dialektik des Versäumten und des wiederkehrenden Alten, auch wenn im Gegensatz zu den meisten anderen gesellschaftlichen Gruppen die abstrakten Maler der Gruppe ZEN 49 Opfer der gewaltsamen Unterbrechung und Zerstörung aller emanzipatorischer, aufklärerischer oder moderner Entwicklungen in Deutschland ab 1933 waren. Die Maler, die sich in und um ZEN 49 sammelten, hatten Malverbot, wurden verfolgt, gingen ins Exil; und ohne die geringste Möglichkeit, sich dagegen zu wehren, wurden sie von allen internationalen Entwicklungen abgeschnitten, fanden sich 15 Jahre später an einem Punkt wieder, der seine geschichtliche Zeit schon hinter sich hatte oder zumindest deren Ende sehr nah sah. Bedrückend ist etwa, zu Bewußtsein zu bekommen, daß erst ab etwa 1950 wieder neue Kunst in größerem Maße in der BRD zu sehen war; die hauptsächliche Tätigkeit der großen Ausstellungen war, den Deutschen die Kunst der Weimarer Republik zugänglich zu machen, vor allem den »Blauen Reiter« und das Bauhaus (welches etwa durch Ausstellungen des Guggenheim Museums wieder nach Deutschland kam, denn beträchtliche Teile der »entarteten Kunst« waren verkauft, verschleudert oder sogar vernichtet worden).
ZEN 49 wurde in München im Juni 1949 als »Gruppe der Gegenstandslosen« gegründet und nahm im Januar 1950 den Namen ZEN 49 an. Gründungsmitglieder waren Willi Baumeister (1889), die beherrschende künstlerische Gestalt dieses Kreises (mit Schlemmer Schüler von Hölzel); Rolf Cavael (1898), der zu Kandinsky enge, auch persönliche Bezüge unterhielt; Gerhard Fietz (1910), Schüler von Schlemmer und Kanoldt; Rupprecht Geiger (1908), dessen Arbeiten etwas außerhalb der Kandinsky-Klee-Schlemmer-Tradition der Gruppe stehen; Willy Hempel (1905) und Fritz Winter (1905), der Schüler von Klee, Kandinsky und Schlemmer war. Das siebte Mitglied der Gruppe, Brigitte Meier-Denninghoff (1923), ist Bildhauerin und historisch eine Generation jünger. An den Ausstellungen von ZEN 49 beteiligen sich bis zur Auflösung 1957 mit der Zeit fast alle deutschen Maler, die in irgendeiner Weise nichtgegenständlich malen. In den fünfziger Jahren wird auch das entstehende Informell eingemeindet (herausragend die frühen Arbeiten von Emil Schumacher); ZEN 49 wird zu einer Art bundesdeutschen Leistungsschau, die einerseits Anschluß an die internationale Kunst zu dokumentieren bemüht ist, andererseits offiziell auch gegen den sozialistischen Realismus in der DDR, der 1948/49 durchgesetzt wird, als Kunst der Freiheit propagiert wird. Wie stark jedoch »abstrakte Kunst« nach 1945 zu kämpfen hatte, wie tief die nationalistische Ästhetik in Deutschland verankert war (in den Herzen, den Hoden, den Bäuchen und den Köpfen), erscheint heute fast unglaubhaft; ZEN 49 wurde, ohne in der Sache dazu ernsthaft gerüstet zu sein (nachdem die Hauptintention die war, überhaupt den Anschluß an die deutsche Moderne wieder herzustellen), zum Vertreter von »Moderne«, von »Avantgarde« im Nachkriegsdeutschland, das sich eine Avantgarde auch nur deswegen leistete, weil nichts deutlicher Internationalismus, Demokratie und Freiheit zu beweisen vermochte.