Fallstudien zum Wertewandel I
Stephan Schmidt-Wulffen
Aufforderung zum Umdenken
FRANK STELLA UND ROBERT MORRIS ZWISCHEN MINIMALISMUS UND MAXIMALISMUS
Laborbedingungen sind selten in der Kunstgeschichte. Ein Beispiel ist der Wandel des kubistischen Avantgardisten Picasso zum Klassizisten 1920/21; ein anderes die Entwicklung der Minimalisten Frank Stella und Robert Morris zu ‘Maximalisten’ im Laufe der siebziger Jahre.So drastischer Wandel verdeutlicht, daß jedes Werk auch Aussage über Kunst ist. Alle Arbeiten enthalten eine theoretische Behauptung, genauso wie die Äußerungen der Künstler als Teil des Werkes verstanden werden müssen. Beide verweisen letztlich auf jene “gemeinsamen intuitiven Grundeinstellungen”, mit denen Thomas Kuhn in den Wissenschaften das Paradigma der normalen Forschung beschrieben hat. Kunstinterpretation versucht, diese Haltungen in einem Modell zu versprachlichen.
Hier soll das am Beispiel von Stella und Morris versucht werden, weil ihre Überwindung des Minimalismus beispielhaft zu sein scheint für die Entwicklung von den sechziger zu den achtziger Jahren. Daß der frühe Rigorismus, mit dem Komposition, Assoziation und Schmuck aus den Werken verbannt wurden, einer Gestaltungslust weichen mußte, die nicht genügend verführerische Ausdrucksmittel finden konnte, verdankt sich weder Zufall noch Opportunismus. Die Umorientierung geht zurück auf das Scheitern der Postulate, die sich mit dem alten Kunstverständnis verbanden. Die neue Lust am Schönen streckt keineswegs die intellektuellen Waffen und wirft sich faul dem Hedonismus in die Arme. Was zu beweisen ist: Die verführerische Gegenwartskunst ist zu verstehen aus einer Geschichte der Kunstanschauungen. Und es erscheint nicht als einer der geringsten Reize heutiger Kunst, daß sie so sinnlich anmutet und doch so konzeptuell ist.
Paradigma Minimalismus
– Die Figur der systematischen Reduktion
“Man…