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Titel: Zwischen Erinnern und Vergessen · von Sigrid Weigel · S. 120 - 128
Titel: Zwischen Erinnern und Vergessen , 1994

Vom Denken und Vorstellen der Turbulenzen

Sigrid Weigel

Von der Topographie zur Schrift – Zur Genese von Benjamins Gedächtniskonzept

1. Der Schauplatz des Gedächtnisses zwischen Archäologie und Schrift

Wenn in Benjamins letztem Text, den Denkbildern über den “Begriff der Geschichte”, Geschichtsschreibung und Erinnerung als strukturanaloge Tätigkeiten und die Bilder des Gewesenen als Erinnerungsbilder beschrieben werden, dann ist dem eine langjährige Beschäftigung mit Gedächtnis und Erinnerung vorausgegangen, in deren Verlauf der Bildbegriff – bzw. deren Erkennbarkeit oder Lesbarkeit – in einer Gedächtnis-theorie fundiert wurde. Markiert der Text “Über einige Motive bei Baudelaire” (1939), vor allem die Abschnitte I bis IV, die Stelle in Benjamins Schriften, in der er explizit verschiedene Gedächtnismodelle diskutiert, wobei der Abschnitt III, in dem Benjamin sich mit Freuds Chockbegriff auseinandersetzt, am ehesten den Charakter einer gedächtnistheoretischen Erörterung hat, so gehen die Spuren seiner Arbeit an einem Gedächtniskonzept viel weiter zurück und konzentrieren sich vor allem zwischen der ersten Arbeitsphase an den “Passagen” (1927-29) und der Wiederaufnahme des Projektes ab 1934. Man könnte sagen, daß jene Schriften, die Benjamin selbst seiner “jüngeren Physiognomie” zugerechnet hat, welche er mit der “Einbahnstraße” beginnen läßt (1978, 416), nach dem Abschluß des “germanistischen Produktionskreises” und nach jenem Bruch, den er als “Umwälzung seines Denkens ” gewertet hat (659), daß also seine unter dem Zeichen der Moderne stehenden und mehr oder weniger direkt auf die “Passagen” bezogenen Schriften überwiegend mit Problemen des Gedächtnisses zu tun haben.

Zahlreiche Texte im Umkreis der “Passagen” enthalten Überlegungen oder einzelne Denkbilder zum Komplex Erinnerung und Gedächtnis, die als Erprobung unterschiedlicher Modelle und…

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