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Ausstellungen: München · S. 294 - 295
Ausstellungen: München , 1991

Maribel Königer
Walker Evans

»Amerika. Bilder aus den Jahren der Depression«

Es könnte ein Bild von Mimmo Rotella sein. Das Plakat zeigt ein eng verschlungenes Paar, das gebannt, im Moment großer Erregung und mit weit geöffneten Augen, auf ein unbekanntes Ereignis außerhalb seines begrenzten Bildausschnitts blickt. Es ist ein Kinoplakat, und der Film muß dramatisch von Liebe handeln, von den Kintoppschicksalen des amerikanischen Mittelstandes. Er trägt Anzug, sie Dauerwelle und Perlenkette. Doch durch die Reklame läuft einen Riß. Das faltige Papier ist an einer Stelle aufgebrochen, und unter vielen Schichten alter Poster wird das nackte Holz sichtbar. 1931 hat Walker Evans dieses Plakat in Massachusetts aufgenommen. Es hätte ein programmatisches Bild sein können für seine künftige Tätigkeit, für Amerika zur Zeit der Depression, als ein Riß durch die Gesellschaft ging, als unter den bunten staatlichen Werbetafeln für den Amercian Way of Life immer mehr Bretterbuden aufgestellt wurden, als Photos von verhärmten Farmerfamilien unter die gepflegte Haut der wohlhabenden Ostküstenbewohner gingen.

Armin Zweite hat sich vom Lenbachhaus mit einer Walker-Evans-Retrospektive verabschiedet, der ersten in Europa, und er präsentiert diesen Photographen – der im Museum of Modern Art 1938 als erster seiner Zunft eine Soloausstellung eingerichtet bekam – mit weit über zweihundert Arbeiten. Die meisten davon sind Vintage Prints und zeigen in erstaunlich gut bewahrten Kontrasten und Grautönen das Amerika der dreißiger und vierziger Jahre. Der als Dokumentarist bekannte Evans, der im Regierungsauftrag die Lebensumstände der in Armut geratenen Bevölkerung festhalten sollte, enthüllt sich in der Werkübersicht als kühler Komponist streng strukturierter Ansichten, als Photoästhet,…


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