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Titel: Konstruktionen des Erinnerns · von Peter M. Spangenberg · S. 120 - 123
Titel: Konstruktionen des Erinnerns , 1994

1. Emanzipation versus Tradition: Krise der Archive?
Beobachtungen zu einer Medientheorie der Gedächtnislosigkeit

VON PETER M. SPANGENBERG

In einer Zeit, in der die Speicherkapazitäten sowohl der technischen wie auch der traditionellen Medien eine unüberschaubare Dimension angenommen haben und noch weiter ansteigen werden, erscheint es zumindest paradox, die gegenwärtige Relation zwischen Gesellschaft, Individuen und ihren Medien unter dem Gesichtspunkt der Gedächtnislosigkeit zu beschreiben. Sicherlich kann die angedeutete quantitative Überforderung des individuellen und kollektiven Gedächtnisses als ein Symptom hierfür angegeben werden, und auch die Organisation des Vergessens durch die schnelle Abfolge von Themen und Inhalten in der Produktion der veröffentlichten Meinung deutet in eine ähnliche Richtung; im Vordergrund der medienwissenschaftlichen Diskussion steht jedoch die Erfahrung einer Neugestaltung des Gedächtnisses durch die mediale Organisation der Gesellschaft und durch die Form der dominierenden Medienangebote.

Die Kommunikationsbedingungen, die durch moderne Medien entstehen, verschieben den Schwerpunkt der Gedächtnisleistungen. Es geht nun vornehmlich nicht mehr um ein drohendes Vergessen als zentrales Problem, sondern um die Verarbeitung von stets abrufbaren Speicherinhalten. Im Rahmen einer Medientheorie der Gedächtnislosigkeit, die die Differenz zwischen der Gedächtnisorganisation durch symbolische Schriftmedien und derjenigen durch audiovisuelle technische Medien beobachten will, handelt es sich somit nicht mehr um die Stimulierung der Einbildungskraft zum Zweck der Erinnerung, sondern um die Verarbeitung von gestalthaften Medienangeboten. Anders ausgedrückt: Kann man überhaupt noch im gleichen Sinne von Gedächtnis sprechen, wenn seine Operationen durch Wahrnehmungen, durch medial simulierte Objekterfahrungen, stimuliert werden?

Berücksichtigt man den Stand der beschleunigten technischen Entwicklungsgeschichte der Medien, so reicht es als Antwort auf diese Frage jedoch nicht mehr aus, lediglich…


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von Peter M. Spangenberg

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