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Titel: Cuteness — Das Niedliche als ästhetische Kategorie. · von Annekathrin Kohout · S. 44 - 47
Titel: Cuteness — Das Niedliche als ästhetische Kategorie. ,
Titel: Cuteness — Das Niedliche als ästhetische Kategorie.

Cuteness

Das Niedliche als ästhetische Kategorie
herausgegeben von Annekathrin Kohout

Niedliche Kunst? Das galt lange als Widerspruch in sich. Kunst konnte vieles sein – schön und hässlich, witzig und ironisch, groß und erhaben, eskapistisch und aktivistisch, aber gewiss nicht niedlich. Doch es zeichnet sich eine Veränderung ab: Weltweit nutzen Künstler*innen mittlerweile die reiche Bildsprache niedlicher Motive und Erscheinungsweisen für eine Vielzahl ästhetischer, intellektueller und politischer Zwecke. Sie sehen im Niedlichen nicht mehr nur Kitsch oder Camp, sondern erkennen darin eine ‚selbstbewusste Unschuld‘, ja eine nicht-patriarchale Ästhetik, die verspielt und ironisch sein kann, aber frei von Hass, Zynismus oder Gewalt.

Die Gegenwartsdiagnose provoziert eine Reihe von Fragen, denen sich die Autor*innen des Bandes aus verschiedenen Perspektiven zuwenden: Warum beschäftigen sich Künstler*innen mit dem Niedlichen oder nutzen die Ästhetik sogar selbst? Welche kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen erfordern eine Bildwelt, die tröstend und lieb ist? Eine Wirkung, die nicht auf Distanz, sondern auf Nähe beruht? Und wie sieht die kritische, affirmative oder provokative künstlerische Auseinandersetzung mit Niedlichkeit aus?

Im einleitenden Essay dieses Bandes geht es um die Geschichte des Niedlichen und ihre bis ins 18. Jahrhundert zurückgehende Rezeption. Dabei wird vor allem die Charakterisierung von Niedlichkeit als eine ‚kleine‘ Ästhetik von und für Frauen angesprochen, die man der großen – und männlichen – Erhabenheit programmatisch gegenüberstellte. Fortgesetzt wurde die Abwertung durch ihre Klassifizierung als Konsumästhetik, die sich innerhalb der Kunsttheorie schließlich im Kitschdiskurs niederschlug. Joseph Imorde beschäftigt sich in seinem Essay mit der Verwandtschaft von Cuteness und Kitsch. Wie Kitsch ist auch Niedlichkeit kulturhistorisch einem (ebenfalls geschlechtlich kodierten) „emotionalisierten Innen“ zugeordnet – und nicht dem „rationalisierten Außen“.

Die derzeitige Entdeckung der Niedlichkeit als relevante ästhetische Kategorie reiht sich in andere jüngere Versuche ein, den Kanon neu zur Disposition zu stellen. So werden einst bagatellisierte Genres und Motive der Kunstgeschichte in den Sozialen Medien, aber auch in Ausstellungen neu belebt. Das zeigt Elena Korowin in ihrem Essay am Beispiel von Cat Content.

Auch in der Bildenden Kunst wird Niedlichkeit (wieder-)entdeckt und als vermeintlich weibliche Ästhetik insbesondere in queer-feministischen Positionen kontrovers verhandelt. Dabei sind sowohl popfeministische Aneignungsstrategien zu beobachten als auch Versuche, die destruktive Gewalt und Machtausübung, die mit Niedlichkeit verbunden sein kann, sichtbar werden zu lassen. Für letztere spricht sich Katrin Köppert in ihren Essay aus. Doch Niedlichkeit ist nicht nur eine Ästhetik, die eng mit Geschlecht, sondern eine, die zudem auch mit Klasse und Ethnie verbunden ist. Angelik Vizcarrondo-Laboy beleuchtet künstlerische Positionen von Schwarzen, Indigenen und People of Color, die sich die Ästhetik produktiv und ohne Ressentiments zu eigen machen – obwohl oder gerade weil sie lange als Unterdrückungsinstrument verwendet wurde.

Wenn von Niedlichkeit die Rede ist, kommt man nicht um das japanische Kawaii herum. Am Beispiel der Kawaii-Rezeption im Superflat Art Movement geht es in dem Essay von Annekathrin Kohout um die Frage, inwiefern Niedlichkeit als individuelle und kollektive Kapitulationsästhetik begriffen werden kann.

Neben der Globalisierung hat kaum etwas den Bedeutungswandel von Cuteness derart forciert wie das Internet und die Sozialen Medien. Mit den dort herrschenden Bildkulturen sind auch neue Werkbegriffe und Gattungen entstanden: zum Beispiel „Art Toys“. Wolfgang Ullrich zeigt in seinem Essay, inwiefern „Kuschelkunst“ in mehrfacher Hinsicht die Grundsätze der westlichen Moderne herausfordert – insbesondere da nunmehr auch der Tastsinn und nicht nur der Sehsinn angesprochen wird. Den haptisch-taktilen Materialeigenschaften des Niedlichen widmet sich auch Katja Gunkel in ihrem Essay. Diese spielen nämlich ebenso in der digitalen – ‚berührungslosen‘ – Kultur eine Rolle. Ein Phänomen, das sie in Anlehnung an die netzkulturell-geprägte ‚Post-Internet‘-Haltung ‚Post-Cuteness‘ nennt.

von Annekathrin Kohout

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