Berlin
Human Is
Kunstverein Schinkel Pavillon 19.03.–23.07.2023
von Peter Funken
Der Titel erweckt Vorstellungen, sogar Erwartungen – ein großes Thema, was ist menschlich? Vieles, doch sofort danach die Frage, was denn dann unmenschlich sei? Human, der Begriff hat zwei Deutungen – eine normative Lesart bei Betonung des Attributs menschlich, im Imperativ: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut!“ Und dann eine humanethologische Sicht, die alles menschlich nennt, was Menschen tun, sie betrifft – auch Hass, Mord und Krieg. Ihren Namen entlehnt die Ausstellung der Kurzgeschichte „Human is“, die Science-Fiction Autor Philip K. Dick 1955 verfasste. Darin wird verhandelt, so die Kuratorinnen Nina Pohl und Franziska Sophie Wildförster, dass Menschsein eine bestreitbare und reversible Kategorie ist. In Dicks Story geht es – wie oft in seiner existenzialistischen Phase der 1950er Jahre – um die Unberechenbarkeit, Wandlungsfähigkeit, ja Unbestimmtheit des Menschen. Sein Fazit ist einfach, aber weitreichend: „Für mich ist diese Geschichte meine frühe Antwort auf die Frage, was ist menschlich … Es kommt nicht darauf an, wie man aussieht oder auf welchem Planeten man geboren wurde. Es kommt darauf an, wie freundlich man ist. Die Eigenschaft der Freundlichkeit unterscheidet uns, meiner Meinung nach von Felsen, Holz und Metall, und dass wir immer so blieben, welche Gestalt wir auch annehmen, wohin wir auch gehen, zu was wir auch werden. Das Thema beschäftigt mich immer noch. Es ist ein wichtiges Thema, denn es zwingt uns zu fragen: Was ist ein Mensch? Und was nicht?“
Vor diesem gedanklichen Hintergrund bedienen sich die Kuratorinnen, wie sie im Konzept darstellen, der Science-Fiction (SF) „als geistiges und ästhetisches Vehikel, um alternative Zukunftsszenarien, politische Vorstellungskraft und eine neue posthumane Ethik zu mobilisieren.“ Dies ist ein spannender Ansatz, spiegeln sich doch in der SF vermittels literarischer und cineastischer Fantasie plus exaktem Wissen Vorstellungsbilder einer gegenwärtigen oder zukünftigen Wirklichkeit. Es entstehen Alternativen, Utopien und Dystopien, Menschenbilder und -fassungen, Narrative, in fremde Welten verlegt, die dennoch von den Bedingungen menschlicher Existenz auf Erden handeln. Mag SF zuerst Literatur gewesen sein, bleiben ihre Vorstellungen und Perspektiven (so auch mehr oder minder verdeckte Gesellschaftskritik) nicht allein auf Texte, Comics und Filmbilder beschränkt, sondern wurden künstlerisch auch zu Installationen, Objekten oder Modellen verwandelt. So etwa die humanoiden Skulpturen aus schwarzem Polyester von Joachim Bandau. Seine organisch-technoiden Zwitter „Wasserwerfer“ (1974) und „Schwarzes liegendes Schlauchmonstrum“ (1972) sind maschinell und menschlich, minimalistisch und monströs, sie bezeichnen (Angst-)Vorstellungen vor der Fusion humaner Körper mit Technikteilen. „In meinen Objekten schuf ich mir meine eigenen Angst-Fetische“, sagte Bandau, ihnen wohnt eine „Ästhetik der Gewalt“ inne. Deformierte Körper, Collage von Maschine und archaischer Figur und surreale Verschränkungen finden sich bei den Arbeiten von Matthew Angelo Harrison und Ivana Bašić. Solche erzeugen dann aber nur noch wenig Grusel und sind seit HR Gigers beeindruckenden Alien-Film-Ausstattungen hinlänglich bekannt. Auch die Nickel glänzenden OP-Instrumente, Requisiten des David Cronenbergs Psycho-Thriller „Dead Ringers“ (1988), gehören in die Abteilung des Body-Horror: In ihren Formen spielen sie bereits befremdlich auf Monströses an, und so sind sie als „Instruments for operating on mutant women“ nur für Folter und Missbrauch entwickelt.
Auf zwei Etagen spielt sich die Ausstellung ab: Unten, wo ehemals Schankraum und Funktionsräume der Gastronomie waren, begegnet man zuerst einem Bildnis der Autorin Mary Shelley und einer alten Ausgabe ihres 1818 verfassten Schauerromans „Frankenstein oder der moderne Prometheus“. Seine Kreatur macht die prophetische Bemerkung: „Du bist mein Schöpfer, aber ich bin dein Meister“. Der Satz, eine Prognose für das Verhältnis von Mensch und Maschine, und besonders in Hinblick auf die Zukunft mit Künstlicher Intelligenz, deren exponentielle Entwicklungsschritte kaum zu bemessen sind. In den gekachelten Funktionsräumen des ehemaligen Gaststättenbereichs werden Objekte, Filme und Installationen im Halbdunkel präsentiert, sie leuchten von innen wie Mike Kelleys Plastiken „City 5“ oder „Kandor 5“, allesamt Arbeiten aus Kelleys 21-teiliger Serie über Supermans Heimatstadt Kandor, der Kapitale des Planeten Krypton. Magisch, bunt, schön anzusehen sind die Modelle, doch wer wird 2024 neuer Superman in Washington? Im oberen Bereich, in dem achteckigen Raum mit den großen Fensterflächen tut sich eine helle Gegenwelt zu der dunklen in den Kellern auf. Die Scheiben wurden verspiegelt oder abgetönt. Doch auch hier, wie unten, begegnet uns zuerst ein Marienbild, das Foto des Maschinen-Menschen Maria in Fritz Langs Stummfilm „Metropolis“ (1925 / 26); daneben zwei Alu-Objekte aus der Serie „Love Language“ der in Berlin lebenden Kongolesin Sandra Mujinga, zudem noch ein weiterer Marienkopf aus Terrakotta, der beständig in die Wand eingelassen ist. Männlichem Technikwahn wird so eine Art von modernem Marienkult entgegengesetzt.
Besonders beeindruckend die große Videoinstallation „Emissary Sunsets The Self“ (2017) des US-Künstlers und Kognitionswissenschaftlers Ian Cheng, die wie ein Spiel zu funktionieren scheint, und sich auch als neues Höhlengleichnis lesen lässt: Eine Gruppe von ungenau dargestellten Personen in einer errechneten Landschaft müht sich endlos um biomaschinelle Objekte, die ihre Form verändern, im Feuer entstehen und darin verschwinden. Das Ganze wirkt so, als würden wir wie Außerirdische einer fremden Spezies bei ihren, für uns nicht zu begreifenden Tätigkeiten zuschauen, ohne ein Warum, Wohin oder Woher zu verstehen. Das ist spannend, macht zugleich traurig, denn die sich mühevoll Abrackernden wirken wie versklavt. Diese Art Tretmühle kommt irgendwie bekannt vor, handelt von Beschränktheit der Wahrnehmung, dem Ausgeliefertsein an komplexe Systeme und deren Macht über Machtlose.
HUMAN IS, die Ausstellung entert das Thema von verschiedenen Seiten, zeigt Werke unterschiedlicher Epochen, wobei die Exponate sich sehr nahekommen; dadurch entsteht der Ausstellung der Charakter einer bunten Unterhaltungsshow und weniger jener, einer ernsthaften Zukunftsanalyse.