Klaus Honnef
Eine Geschichte
»Zeitgenössische Kunst aus dem Centre Pompidou«
Haus der Kunst, München, 25.3. – 4.9.2016
Als Christian Boltanski vor über dreißig Jahren sein Studio aufräumte, warf er die vielen Überbleibsel seiner Arbeit samt dem, was sich sonst noch angesammelt hatte, nicht weg, sondern er verschloss den Abfall auf immer in zahlreichen Keksdosen aus silbrig glänzendem Blech. Vor der Folie einer sich formierenden Informations- oder Mediengesellschaft war das eine ungeheuer starke Geste. Boltanski, berühmt dafür, dass er mit Hilfe von Archivalien meist visuellen Charakters verdrängte Vergangenheit wieder ans Licht bringt, entzog ihr mit Absicht, wonach diese Gesellschaft giert: den Blick in den privaten Bezirk eines prominenten Künstlers. Die zu einer Art Archivschrank aufgetürmten Keksdosen mit vergrabenen Erinnerungen und einer eigenen Beleuchtung erwarb das Centre Pompidou in Paris.
Er ist das signifikanteste Kunstwerk einer Auswahl der umfangreichen Sammlung des französischen Zentralmuseums für die moderne Kunst im Münchner Haus der Kunst. Die Selektion gibt vor, die verschiedenen Bausteine für „Eine Geschichte“ zeitgenössischer Kunst zu liefern. Ungefähr von jener Zeit an, wo Boltanski seine Aufräumaktion startete, bis in die Gegenwart. Selbstverständlich begnügen sich die Kuratoren beider Kunstinstitutionen nicht mit der bloß chronologischen Anordnung der künstlerischen Belegstücke, sondern sie wollen mehr. Ihnen „geht es“, laut Pressetext „um die Frage, welche Faktoren dafür maßgeblich sind, wie Kunstgeschichte geschrieben wird.“ Hoch gespuckt – zweifellos. Auch wenn dem unbedarften Leser nicht ganz klar wird, wer die Geschichte der Kunst eigentlich schreibt. Die Kunstwerke oder die Kuratoren? Um das Fazit des spannenden Problems vorzuziehen ‒, die Kunstwerke haben gegen die…