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Relektüren · von Rainer Metzger · S. 314 - 315
Relektüren ,

Relektüren
Folge 76

Rainer Metzger

Die Vorstellung vom dreieinigen Gott ist eine der verschrobensten Ideen des an Seltsamkeiten ja nicht gerade armen Christentums. Nach dem gleichsam unschuldigen Auftritt des Jesus von Nazareth wurde mit Diskussion, Gelehrsamkeit, Philosophie aufgeladen, was er mündlich und das auch ungenau hinterlassen hatte. Die griechischen Denker kamen in die Quere und mit ihnen die Frage, wie das zu verstehen ist mit dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist (die Kombination kommt im Neuen Testament nur bei Matthäus 28,19 vor, und da geht man auch von einer späteren Hinzufügung aus). Nach der platonisch-aristotelischen Konzeption von Substanz und Akzidenz wären der Sohn und der Geist so etwas wie Attribute des Vaters, denn schließlich sitzt der immer schon und allursprünglich auf seinem monotheistisch ausstaffierten Thron. Dann aber wäre der Sohn nicht der Messias in seiner ganzen Göttlichkeit, sondern womöglich eine Art zwar herausgehobener, aber dennoch irgendwie auch subalterner Prophet – was Jesus etwa im Islam ist, und was er zwischenzeitlich auch bei den Christen, unter den Anhängern des alexandrinischen Presbyters Arius zwischen dem 4. und dem 6. Jahrhundert, einmal war. Kompliziert jedenfalls das Ganze, und da der Totalitarismus nur eines will, nämlich alles, war die Sache Religionsstreitigkeiten über die Epochen hinweg wert. Noch 1553 ließ man in Genf einen spanischen Humanisten namens Miguel Servet hinrichten, der vor der Inquisition geflohen war. In seinem Menschenverstand hatte er die Dreifaltigkeit angezweifelt. Der Reformator Calvin besorgte nun unter großem Getöse genau das Geschäft, das auch die Heilige Mutter Kirche plante, und ließ ihn…

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