Kleider machen Identitäten.
Ein Gespräch mit Lucy Orta
Von Heinz-Norbert Jocks
Lucy Orta, 1966 in Sutton Coldfield, Birmingham geboren, in Paris ansässig, verlässt mit ihrer Arbeit nicht nur den statischen Kunstraum. Sie transzendiert zudem die Grenzen der Kunst, indem sie Verbindungen herstellt zwischen Modedesign, sozialem Engagement, Poesie und Aktionskunst.
Als Antwort auf die drastischen Bilder von kurdischen Flüchtlingen während der USA-Invasion im Irak kreierte die ausgebildete Modedesignerin 1991 die erste Version von „Refuge Wear“, die in ihrer multiplen Funktionalität den Kriegsopfern sowohl Schutz als auch Überlebenschancen gewähren sollte. In den folgenden Jahren intervenierte die Künstlerin in den Straßen und Metro-Stationen von Paris. Für Clochards entwarf sie Kleidungsstücke, die, ausgestattet mit Kapuzen und Ärmelöffnungen, für mehrere Personen gleichzeitig verwendbar sind. Durch kollektive Nutzung von „Refuge Wear” entsteht ein Art Wärmeprozess in einem auch metaphorischen Sinne, weshalb der Kunstkritiker Kodwo Eshun Parallelen zu der „Sozialen Plastik“ von Joseph Beuys zog. Bei diesem Engagement blieb es nicht. Sie hielt darüber hinaus Workshops mit Obdachlosen und Gefangenen in Pflegeheimen, Universitäten und Hochschulen ab.
In späteren Arbeiten beschäftigte sich die Künstlerin mit alternativen Systemen für mehr Gerechtigkeit bei der Nahrungsmittelverteilung, mit dem Problem der öffentlichen Meinungsumfragen und dem sogenannten Lobbying. Die Tatsache, dass Bauern in den EU-Länder trotz weltweiter Hungersnöte jährlich Millionen Tonnen von frischen Agrarprodukten vernichten müssen, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, regte die Künstlerin zu einem Projekt im Rahmen einer Ausstellung in „Le Forum Saint-Eustache Gallery“ an. Als Buffet wurden selbstgekochte Speisen aus weggeworfenen Früchten und Gemüse vom Pariser Markt “Les Halles”…