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Titel: Dressed! - Art en Voque · von Hartmut Böhme · S. 48 - 83
Titel: Dressed! - Art en Voque , 2009

Hartmut Böhme
Zeiten der Mode

„Aber Lebendige machen / alle den Fehler, daß sie zu stark unterscheiden.“
(Rainer Maria Rilke: Erste Duineser Elegie)

1. Vergangenheit: Mode und Moderne

Mode ist ein Phänomen der Moderne, zutiefst mit dieser und also mit dem modernen Kapitalismus verbunden. Zuvor gab es „Tracht“, gab es Kleiderordnungen, obrigkeitliche Aufwandsregularien, aber auch das vestimentäre Prunken der europäischen Hofgesellschaften, in denen Kleidung, Schmuck, Schminke und Haartracht der Ausstellung von Prestige und Rang dienten. Hier entstand eine hochentwickelte Kultur der wechselseitigen Beobachtung, die sich auf den Ausstellungswert von Kleidung und die Virtuosität von Habitus und Konversation richtete. All dies gehört zu den Modi, durch die Ränge und Einflüsse ausgehandelt wurden, zentriert um den von Norbert Elias sogenannten Königsmechanismus.1 Die Aufmerksamkeitsschule des Blicks für die stumme Sprache vestimentärer Ausstattung, die permanente Selbst- und Fremdkontrolle, die stete Konkurrenz um Gunst und Ansehen, die Tyrannei des guten Geschmacks erzeugten schon hier eine gesteigerte Reflexivität in Fragen der Kleidung und des Habitus. Sie wurde noch durch die Hofkritik entmachteter Adliger und der Moralisten geschärft, die eine Art ‚Modekritik vor der Mode’ entwickelten. Man kann das 17. und 18. Jahrhundert als die Protophase für den takeoff der Mode im Zeichen des Kapitalismus ansehen. Es ist Elena Esposito zuzustimmen, wenn sie – die Systemtheorie Niklas Luhmanns auf die Geschichte der Mode anwendend – die historische Umstellung von stratifikatorischen Gesellschaften auf funktionale Ausdifferenzierung als den eigentlichen Beginn der Mode ansieht.2 Diese Auffassung, wonach die Mode mit den Modernisierungsprozessen des 19. Jahrhunderts strukturell gekoppelt ist, vertrat schon Georg Simmel.3 Hierbei…


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