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Monografie · von Maria Lassnig · S. 242 - 241
Monografie , 1985

Maria Lassnig

Texte der Künstlerin

Akademie und Nachkriegszeit

“Wir sehen nicht, wir schauen.” (Popper)

Die akademische Ausbildung in der Nazizeit hat den Schülern nur alte Meister geboten, die modernsten waren Leibl und Thoma, Egger-Lienz ist schon früh für gefährlich expressiv gehalten worden. Man sah weder Impressionisten noch Expressionisten, Manet, Cézanne, Van Gogh, Kokoschka, alle waren von der Schule verbannt.

Ich habe mir mein Farbsehen selbst erarbeiten müssen: Durch Kontemplation den ersten Farbfleck zu entschlüsseln, mit diesem Schlüssel alle Nebenfarben durch Kalt-Warmgegensätze zu bestimmen.

Ich habe das “senkrechtes Farbsehen” oder “absolutes Farbsehen” genannt: indem ich so lange auf einen Farbpunkt starrte, bis die “Lokalfarbe” verschwand und die ganze erschreckende Relativität der Farbe einen Weg zur Auswahl freigab. Natürlich ist die Auswahl nicht frei, sondern hängt von dem Grad der Sublimierung ab, zu dem man sich im Augenblick hinaufsteigern kann.

Es handelte sich also weniger um ein Schwelgen in Farbe oder um einen Farbenrausch, sondern um ein “Ergründen”. Also um ein Zügeln der Leidenschaft zur Farbe, die in voller Kraft in mir war und die sich in freier “Zigeunermalerei” hätte austoben können.

Ich suchte die gezügelte Leidenschaft durch Verharren und Sublimierung eines Farbfleckens, einer Farbfläche, so weit zu steigern, daß entweder ein absolutes Grau oder eine reine, der Wirklichkeit entgegengesetzte Farbe entstand, also aus Grün Rot wurde, also ein Umglühen oder Umschmelzen von Farbe zu farbigem Grau – zu fast ausgeglühtem Grau und zurück zur Farbe.

Zuerst wurde die Farbe noch auf einem “realistischen” Gerüst aufgehängt oder “gesetzt”; später ist mir diese intensive Farbbeschäftigung meiner frühen Jahre sehr zu Hilfe gekommen.

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