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Titel: Kunstverweigerungskunst II · von Gunnar Schmidt · S. 87 - 94
Titel: Kunstverweigerungskunst II , 2015

Ori Gersht

Die Auslöschung des Bildes im Bild
von Gunnar Schmidt

Nimmt man mit einem ersten Blick die Arbeiten des israelischen Foto- und Videokünstlers Ori Gersht wahr, so fällt die Abwesenheit eines Individualstils auf. Gersht kann als Meister der Interikonizität bezeichnet werden, der Genres, Stile, Motive aus der Bildgeschichte adaptiert, medial interpoliert und zuweilen nachstellt: pastorale Landschaften, üppige Stillleben, impressionistische oder pikturalistische Unschärfe, hyperrealistische Objektrepräsentation, dekorativer Grafismus, asiatische Lieblichkeit, sublim-romantische Entrücktheit, Gegenstandslosigkeit bis zur Monochromatik. Was in dieser Beschreibung wie eine postmoderne Kunst für Kunsthistoriker erscheint, gewinnt auf den zweiten Blick eine unerwartete Abgründigkeit, die als Negation der Oberfläche aufgefasst werden kann: Mit seinen Arbeiten reagiert Gersht auf politische Großkatastrophen und Konflikte der Moderne, die bis heute Mentalitäten und Affekte beeinflussen: Französische Revolution, Holocaust, Terrorismus, Atombombenabwurf, die kriegerischen Auseinandersetzungen Israels mit den Palästinensern und mit den arabischen Nachbarn sowie die Regionalkriege im ehemaligen Jugoslawien. Erscheinen Kunstgeschichte als Formenrepertoire einerseits und die Destruktionshistorien andererseits als unvereinbar, so lässt sich an einem frühen Beispiel zeigen, dass Gershts Strategie darauf abzielt, Perspektivdopplungen zu ermöglichen. Fotografische Indexikalität und bildrhetorische Anspielung auf Unheilsgeschichten werden derart verknotet, dass das Zeigen immer auch einen Zweifel am Gezeigten enthält.

Einschüsse in die Ästhetik

1998 entstand die Serie AfterWars in Sarajevo. Auf einer Fotografie ist eine Wendeltreppe abgebildet, die auf eine sattgelbe Wand einen dunklen Schlagschatten wirft. Die Wand ist übersäht mit einer Vielzahl von Einschusslöchern, Spuren aus dem Bosnienkrieg zwischen 1992 und 1995. Als Dokumentarfotografie betrachtet stehen die Krater in einem beunruhigenden Missverhältnis zur formalen Strenge des Bildes. Das Bild klärt weder…


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