Heinz-Norbert Jocks
Soll und Haben
»Neuerwerbungen seit 1990«
Kunstsammlung NRW, Düsseldorf, 24.9. – 14.11.1993
Soll und Haben” klingt nach Philosophie und betitelt doch nur eine Ausstellung, die nicht bloß den jetzigen Kontostand der Kunstsammlung NRW offenlegt, sondern auch eröffnet, wohin in Zukunft die ach so erschwerte Reise umsichtigen Sammelns gehen soll. Was war da, als sich Werner Schmalenbach verabschiedete, und was kam hinzu, als Armin Zweite das Haus betrat?
Alles allzu banale Fragen, die sich nun nicht nur in Anschauung beantworten lassen, sondern weitere auslösen. Denn die erste Bestandsaufnahme unter gewechselter Flagge versteht sich nicht als Lückenbüßer zur Überbrückung einer lästigen Übergangszeit, die mit einer Ausstellung zum 100. Geburtstag von Julius Bissier beendet sein wird. In ihrer Vorläufigkeit liegt ein vage sich abzeichnendes Programm, an dem Wünsche kleben, von denen heute niemand weiß, ob sie sich morgen erfüllen. Was da durchbricht, ist, wenn es glückt, die individuelle Handschrift des Nachfolgers und dessen spezielle Art, den Auftrag seiner Zeit wahrzunehmen.
In dem, was an – in der Qualität sehr unterschiedlichen – Neuzugängen, ob als Leihgabe oder Erwerbung ermöglicht, seit 1990 zu verbuchen ist, schlummert also womöglich eine ästhetische Tendenz, die, da angelegt, sich auch als Verpflichtung begreifen ließe. Worin besteht sie, und was daran ist so neu, daß es die Sammlung über reine Komplettierung erhebt? Wird da nur das Versäumte zu ungünstiger Zeit, also verspätet, nachgeholt? Oder ändern sich auch die Richtung, die Linie, die Anforderungen an unser Auge, das Kunstverstehen? Überschreiten wir eine Schwelle, an der sich Sehwelten scheiden? Kündigt sich da die Zeit…
