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Titel: Der Elfenbeinturm - Ein Reiseführer · von Walter Grasskamp · S. 106 - 120
Titel: Der Elfenbeinturm - Ein Reiseführer , 1982

Elfenbeinsplitter

Zur Baugeschichte des Elfenbeinturms
Ein Glossarium für Einsteiger

von Walter Grasskamp

Psychologie

Jeder weiß, daß es den Turm aus Elfenbein nicht gibt. Was als Gebäude benannt wird, betrifft eine Haltung, was sich auf räumliche Distanz, Vereinzelung und unwohnliche Leere bezieht, meint eine soziale Distanz und eine geistige Abwesenheit; die Kostbarkeit des Materials läßt den Turm nicht zur Auszeichnung werden, denn seine Erwähnung dient der Kritik.

Den Hütern aller alleinseligmachenden politischen Wahrheiten gilt er als eine abgeschiedene Klause, deren Bewohner weltfremd sind, politisch unergiebige Zeitgenossen, deren Interessen sich nicht auf soziale Konflikte erstrecken und deren Weltbild von Naivität geprägt ist. Ihnen wird mit dem Namen ihrer geistigen Heimat entweder ein Mangel an Erfahrung oder an Engagement vorgehalten, meist jedoch beides.

Ähnliche Vorwürfe gelten dem Wissenschaftler, der sich von der gesellschaftlichen Praxis entfernt, um einen ihrer Bereiche zu erforschen. Diese Entfernung aus der Alltagswelt wird ihm verübelt, wahlweise auch, ob seine Forschungen Folgen hatten oder keine. Erwünscht ist, daß er seine Studierstube verläßt, sein Institut und den Campus, um mit dem und für das Volk zu forschen, wer auch immer damit gerade gemeint sein mag.

Die Unpolitischen und die Wissenschaftler sind jedoch nicht die einzigen Bewohner solcher Schuldtürme, nicht zuletzt sorgen die Künstler für zusätzliches Gedränge. Sie trifft, zumal seit und falls sie sich dem Wahlspruch l’art pour l’art verschrieben haben, der Vorwurf nahezu wie die Diagnose einer Berufskrankheit.

So stellt sich der Elfenbeinturm für jene dar, die nicht in ihm wohnen, und da sie sich in der Mehrzahl fühlen, bestimmt ihre Sprache das semantische Feld und die Wertung….

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von Walter Grasskamp

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