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Titel: Gegenwartsbefreiung Malerei · von Larissa Kikol · S. 46 - 45
Titel: Gegenwartsbefreiung Malerei ,

Gegenwartsbefreiung Malerei

Tendenzen im 21. Jahrhundert
Herausgegeben von Larissa Kikol

Seit einigen Jahren geht die Party weiter. Dabei sollte es im vergangenen Jahrhundert oft vorbei sein mit der Malerei. Sie sei zu beengend. Sie sei aufgebraucht. Sie sei ausgemalt. In Wahrheit hat sie ihre Kraft nie verloren, hat sich immer wieder aggressiv, erotisch, provokant, sinnlich oder kühl überlegen in den Vordergrund gespielt. Wenn Katzen sieben Leben haben, dann hat die Malerei 1.000 Leben.

Heute hat sie die Unterstellungen und Tiefs des 20. Jahrhunderts überwunden. Stärker und relevanter erlebt derzeit kein anderes Medium ein neues Hoch. Ob es Kunstmessen, Kunstbuchverlage, Mega- oder Nachwuchsgalerien, Sammler*innen oder Institutionen sind: Die Malerei hat sie alle wiedergekriegt und eigentlich nie verloren. Und dank Beyoncé und Jay-Z erleben Gemälde wie Le Sacre de Napoléon oder Das Floß der Medusa neuen Weltruhm in jedem Teenie-Schlafzimmer. Durch die Globalisierung und Emanzipationsbewegungen erlangen nicht mehr nur westliche, weiße Künstler *innen zu Sichtbarkeit und Bedeutung. Und weit über die Berliner Kunstszene hinaus konnte jeder in live und in „Story“ mitverfolgen, wie der „blinde Galerist“ letzten Endes eben auch zu seinen Maler *innen fand. Darunter Katharina Grosse, von der, neben anderen, die beeindruckendsten Leber haken und, ja, so ist es: Knock-Outs gegen die lange männerdominierte Malereigeschichte stammen. Wie sie ihre Angst ablegte und stattdessen zur Ikone für Mut und Konsequenz wurde, erzählt sie Hans Ulrich Obrist und Larissa Kikol im Gespräch Keine Angst vor Malerei.

Eines hat sich in den letzten 20 Jahren klar gezeigt: Ästhetisch, doch vor allem auch theoretisch, haben sich Diskursobjekte grundlegend geändert. Dauerbrenner der theoretischen Reflexionen des 20. Jahrhunderts sind aktuell endlich ausgeglüht.

Deutlich wird dies in den drei Hauptkategorien des Bandes: Politische, abstrakte und figurativ surreale Malerei. Auf diesen Feldern finden aktuell die spannendsten Entwicklungen statt, in der jungen Generation sowie in der etablierten Szene. Jeder der drei Bereiche wird durch eine Bildstrecke von überwiegend jungen Maler *innen vorgestellt, die neue und selbstbewusst konsequente Positionen behaupten. Außerdem vertiefen Essays und Interviews die drei Felder. Der Essay Remmidemmi! – Zur Gegenwartsbefreiung der Malerei geht den verschiedenen Malerei comebacks seit den 80er Jahren nach und diskutiert, welche Merkmale die gegenwärtige Malerei im 21. Jahrhundert ausmachen.

Im Kontext der politischen Malerei schreibt Oliver Zybok über die jüngsten Debatten in deutschen Feuilletons, über die Auseinandersetzung mit der Kolonialzeit, der Identitätspolitik und der Utopie einer Kunstdiktatur. Der Kurator Bonaventure S. B. Ndikung spricht über politische Dimensionen in der figürlichen Malerei und dass kategoriale Einordnungen ihm nicht weiterhelfen.

Der Entwicklung der abstrakten Malerei seit Gerhard Richter bis Katharina Grosse und Adrian Schiess geht der Autor Ulrich Loock nach, der die Sinnlichkeit als zeitgenössischen Genuss ausmacht. Im Interview wandert Andreas Breunig Linie für Linie durch seine abstrakten Welten und erklärt den Ärger, den es dort geben muss.

Ein neuer surrealer Zyklus wird von Larissa Kikol behauptet, der sich stark vom Surrealismus der Moderne unterscheidet. Künstler*innen wie Daniel Richter, André Butzer, Martin Eder, Jonas Burgert oder Stefanie Gutheil führen ihn in seiner Totalität aus. Vollends aufgehoben ist die Abgrenzung zwischen Realität und Phantasie beim Künstlerduo Veli und Amos, die Malerei, Graffiti, Performance und Video als surreale Märchenkunst zusammenbringen. Einer Ausweitung von Malerei ins Virtuelle und wieder zurück widmet sich Anika Meier. In ihrem Essay zeigt sie Spielformen zwischen analogen und digitalen Räumen auf.

Aber für alle Richtungen der zeitgenössischen Malerei gilt: Sie stellt sich gegenwärtig nicht in Frage. Sie muss keine ästhetisch-philosophische Zwiesprache im akademischen Beichtstuhl halten, wie so oft im letzten Jahrhundert. Politisch, abstrakt, figurativ oder surreal – Heute wird gemalt, was gemalt werden soll.