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Kommentar · S. 324 - 324
Kommentar , 1989

Thomas Wulffen
Russisches Rollback

Zu Recht könnte man von einem Gespenst reden, das da umhergeht, aber die russische Kunst ist keineswegs so immateriell wie ein Gespenst. Als Idee existiert sie vor allem in diversen Köpfen, die ihr Verständnis von Kunst in dieser Kunst bestätigt sehen. Bunte Farben, realistische Abbildung, feste Leinwand und schöner Rahmen sind die altbekannten Ingredienzien einer anachronistischen Malerei, die scheinbar alle jüngeren Entwicklungen verdrängt hat. Mit gutem Gewissen können sich die Gestrigen der russischen Kunst zuwenden, denn ihre Zuwendung dient schließlich der Völkerverständigung. Daß sie dabei ein altbekanntes Urteil bestätigen, kommt ihnen gerade recht: Wahre Kunst existiert auf der Leinwand und sonst nicht (Skulptur wird als Ableger der Malerei verstanden). Zwar weiß man um verschiedenartigste Veränderungen, die Auflösung der realistischen Abbildung, des gewohnten Rahmens, der gewöhnlichen Bildgestaltung, aber eigentlich haben wir dergleichen nur widerwillig akzeptiert. Wir wollen im Sinne des Neuen Akademismus etwas auf dem Gemälde sehen und erkennen, und da reichen uns die abstrakten Muster eben auch nicht. Es muß schon halbwegs realistisch sein, aber öffentlich wollen wir das nicht eingestehen, denn schließlich kaufen wir nicht nur die Avantgarde, wir sind die Avantgarde. In diesem Falle können wir natürlich nichts für die besondere Ausformung der russischen Kunst, und so können wir etwaige Urteile in einer bestimmten Richtung gekonnt abwehren. Und wenn dann so ein russisches Gemälde an der Wand auftaucht, überläuft einen ein wohliger Schauer angesichts der Tatsache, daß man sich Wohlbekanntem, aber dennoch Fremdartigem gegenübersieht. Schließlich erschöpft sich ein Gemälde ebenso wie eine Batterie, und was…


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