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Titel: Documenta IX · von Maria Porrmann · S. 94 - 98
Titel: Documenta IX , 1992

MARIA PORRMANN
Cygne, Signe, Signet

DER SCHWAN – VOM SYMBOL ZUM WARENZEICHEN

Wenn einer auf dem Spielfeld einen sterbenden Schwan markiert, dann soll ein Elfmeter dabei rausspringen. Wenn einer etwas mit »Mein lieber Schwan« kommentiert, dann können wir schon nicht mehr sicher sein, ob da nicht auch ersatzweise beliebig anderes genannt werden könnte. Kein Zweifel, da ist ausgerechnet das Tier, das seit mythischen Zeiten als Symbol verstanden wurde, metaphorisch gesprochen, auf den Hund gekommen. Bezeichnend ist hierbei nicht nur, daß die Bedeutung des Symbols zur Unkenntlichkeit verblaßt und zur austauschbaren Metapher geworden ist, bezeichnend ist auch, welchen Ursprungs die Schwäne sind, die sich noch in unserer Umgangssprache finden. Beides sind nämlich vergleichsweise junge, genauer spätromantische bzw. neuromantische Schwäne. Der erstere stammt aus Tschaikowskys »Schwanensee« (1877), Jahrzehnte der Bürger liebstes Ballett. Ein später, in schöner Illustration schwelgender Rückgriff auf nordisch-slawische Schwanenmythen, in dem übrigens auch als spiegelverkehrtes Symbol des verzauberten weißen Schwans ein zum Bösen, zur Untreue verführender schwarzer Schwan vorkommt. Den zweiten Schwan finden wir in Wagners »Lohengrin« (1848).

Die Schwanensymbolik dieser Oper ist in ihrer Akkumulierung verschiedener Bedeutungsschichten, die in diesem Symbol konzentriert werden, typisch für die variantenreiche, ausdifferenzierte, aber auch eklektizistische Verarbeitung von Motiven, die insbesondere die Kunst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kennzeichnen kann. Da ist zum einen besagter »lieber« Schwan, der den Nachen des Gralsritters zieht, ein im mittelalterlich christlich-germanischen Erlösungsmythos vom Gral beheimatetes Tier, das nach seiner Erlösung vom Bann durch eine ebenso symbolische Taube ersetzt wird. Zum anderen kennzeichnen auch den Schwanritter Lohengrin Merkmale, die…


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