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Titel: Inszenierte Fotografie I · S. 108 - 111
Titel: Inszenierte Fotografie I , 1986

Eve Sonneman

Alle Tugenden einer streng dokumentarisch verfahrenden Fotografie manifestieren sich in den Bildern von Eve Sonnemann. Weder rückt sie zurecht, was sie fotografiert, noch greift sie in die physikalisch-chemischen Abläufe der Dunkelkammer ein. Es sei denn, um die fotografischen Ergebnisse ihrer Arbeit nach Maßgabe einer optimalen Realitätswiedergabe zu vervollkommnen. Ihre Aufnahmen sind in jeder Hinsicht perfekt, trennscharfe Konturen, brillante Farben, überzeugende Flächen- und gekonnte Raumaufteilung. Gleichwohl wirken die Fotografien wie von einer anderen Welt. Als seien sie Ausgeburten einer schwelgerischen Fantasie, bestechend durch ihre ästhetische Schönheit. Es ist diese perfekte Schönheit, die den Bildern einen unwirklichen Charakter verleiht. Sie dringt förmlich durch die Oberfläche und legt sich wie eine glänzende Hülle über die Bilder, eine Hülle, die sie gleichsam mit schimmerndem Glanz versiegelt. Diese Aufnahmen weisen Ähnlichkeiten mit Spiegeln auf. Der Blick des Betrachters, der auf sie fällt, wird durch sie zurückgeworfen. Das dreidimensionale Erscheinungsbild der Wirklichkeit verwandelt sich in pure Flächenwerte. Die Metamorphose des Seins in den reinen Schein der Oberfläche vollzieht sich. Seit Matisse hat kein Künstler, keine Künstlerin mehr so kompromißlos und unverfälscht die Schönheit gefeiert. Dennoch sind die fotografischen Bilder Eve Sonnemanns so weit vom gewöhnlichen Lichtbildkitsch entfernt wie die Erde von der Sonne. Denn unter der Oberfläche des schönen Erscheinungsbildes zeigen sich unmerkliche Sprünge, präziser gesagt: merkwürdige Ungereimtheiten. Da beugt sich ein Mönch über einen Blumenstrauß, als wolle er den Duft der Blüten in sich aufsaugen. Der Mönch freilich ist gar kein Mönch; es handelt sich um eine Skulptur, die einen sich neigenden Mönch darstellt….

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