Gayil Nalls
Ein immaterielles Weltkulturerbe
Ein Gespräch von Katharina J. Cichosch
Gayil Nalls ist Künstlerin, Autorin und Philosophin. In ihrem Werk verwebt sie Kunst und Naturwissenschaft, Anthropologie und Gesellschaft, Theorie und Praxis, auf der Suche nach einem tiefergehenden Verstehen der menschlichen Erfahrung zwischen Natur und Kultur.
Gerne möchte man dieses Diorama betreten, von dem einige analoge Fotografien existieren: Menschen, die im wilden Konfettiregen stehen; Polizisten, Feiernde, Paare, Einzelne vor schwarzem Nachthimmel, die Leuchtreklamen des New Yorker Times Square illuminieren den Optimismus des anbrechenden neuen Jahrtausends. Zwischen flirrendem Rot, Blau, Gelb, Weiß und Pink fliegen Quadrate durch die Luft und landen auf dem Boden. Mancher hebt sie auf, hält sie in die Kamera oder steckt die Nase rein. Welchen Geruch die silbrig schimmernden Kärtchen mit dem farbenprächtigen Aufdruck aus Molekülen in sich tragen, kann man nicht sehen: Es ist das World Sensorium, ein Weltenduft aus unzähligen Pflanzen, kreiert von Gayil Nalls. Vor unserem Gespräch schickt die New Yorkerin eines dieser Flugblätter per Post. Die Klebefolie, die den Geruch im Innern einschließt, ist schon vergilbt. Aber noch immer kann man Reste des Odors, der zu einem großen Teil aus Rose und Jasmin besteht, erahnen.
Gayil Nalls ist eine Pionierin der olfaktorischen Kunst, die sie als soziale Skulptur begreift (Joseph Beuys hat sie als junge Künstlerin getroffen, er hat ihr Kunstverständnis nachhaltig geprägt). Sie hat Aufsätze und Essays, Katalogbeiträge und Bücher verfasst, experimentelle Studien zur Wahrnehmung von Gerüchen durchgeführt, sich in „The Avon Suite“ mit der Ikonografie US-amerikanischer Parfümobjekte beschäftigt (Nalls besitzt eine ganze…