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Titel: Smell it! Das Olfaktorische in der Kunst · von Katharina J. Cichosch · S. 42 - 43
Titel: Smell it! Das Olfaktorische in der Kunst ,

Smell it!

Das Olfaktorische in der Kunst
herausgegeben von Katharina J. Cichosch

… aber was ist eigentlich mit den Bildern?

Natürlich gilt, gerade in einem journalistischen Format, „Pic or it didn’t happen!“ Das erscheint schwierig mit einem so flüchtigen Medium wie der olfaktorischen Kunst. Dabei durchziehen Gerüche, wohlriechende und ekelerregende, die Kunstgeschichte seit Urzeiten. In den letzten 100 Jahren sind sie dann in den modernen Ausstellungsbetrieb eingezogen, manchmal nur als Idee; nach einem kleinen Hype in den 1990er Jahren und in der letzten Zeit ist diese Kunst immer noch randständig, aber vielleicht war gerade das ja stets ihr großes Glück.

Olfaktorische Kunst ist keine terra incognita. Wer sie eben erst für sich entdeckt, könnte das leicht annehmen. Weil viele Werke kaum dokumentiert sind, manchmal bewusst, manchmal fahrlässig oder aus purer Unlust. Dieser Band handelt vor allem von der Praxis, dem Ausdenken, Produzieren, aber auch Ausstellen und Vermitteln von olfaktorischer Kunst (und gar in einer Fußnote auch vom Versuch, sie zu verkaufen!). Als Würdigung derer, die sich seit Längerem schon mit dem Odor beschäftigen und nicht immer unbedingt am Hype partizipieren, die der olfaktorischen Kunst in den nächsten Jahren bevorstehen könnte (vielleicht verschwindet der aber auch ebenso schnell wieder wie jene Moleküle, die sich bald in alle Richtungen aufmachen). Viele der hier auftauchenden Biografien passen kaum in das übliche Format oder fallen erstaunlich schmal aus. Mancher Künstler, manche Künstlerin hat mehr mit sozialen Happenings, Erfindungen, multisensorischen Projekten, Aufführungen oder vorüberziehenden Eingriffen in den öffentlichen Raum zu tun, denn mit klassischen Ausstellungsformaten. Oder sie gehen nebenbei noch ganz anderen Professionen nach.

Dieser Band ist eine Bestandsaufnahme und somit fast eine Novität: Wenn von olfaktorischer Kunst bisher journalistisch / kunstkritisch in einem breiteren Format die Rede ist, dann oftmals als einem Exotikum. Aufregend, merkwürdig aber auch, in kein Label so recht passend. Die Sorge der mangelnden Abbildbarkeit stellte sich dann bald als unbegründet heraus. Am Ende gab es ein Vielfaches mehr Bilder von konzeptionellen und riechenden Skulpturen, Objekten, Malereien, Installationen, Aktionen, Konzepten und Devotionalien, als in diesen Band gepasst hätten. Manches Werk und mancher Geruch waren allerdings so volatil, dass auch die Bilder heute nur noch spekulativ sein können – von der Aufführung eines sagenhaften Geruchskinos bis zu einem spezifischen Zedernholzduft, der Marcel Duchamps Installation umweht haben soll.

Weitere Fragen, die mit diesem Band offenbleiben oder nur individuell zu beantworten wären: Jagen wir Phantomen hinterher? Ist das alles nur ein zauberhafter Trick? Wie könnte eine olfaktorische Kunstkritik aussehen? Wünscht man dieser Kunst überhaupt eine Institutionalisierung? Wenn Geruch so einnehmend ist, sind wir dem Narrativ der Künstlerin / des Künstlers dann hoffnungslos ausgeliefert? Wollen wir nicht doch nur das Bild zum Duft sehen? Spielt der spezifische Geruch eine Rolle, oder nur die Idee davon? Macht ein Geruchsmolekül ein Werk schon interessanter? Zeigt olfaktorische Kunst, wie unsinnig die Idee von Autorenschaft immer schon war – oder ist es eine Frechheit, wenn Moleküle und Konzepte kopiert werden? Und wer kopiert hier eigentlich wen? Die Probleme und Fragen, die olfaktorische Kunst aufwirft, sind ähnliche, die man sich ohnehin in der Kunst stellt – nur grundlegender und nicht unbedingt an ein Ende führend. Sie ist noch immer nicht ganz zu fassen.

Was kann olfaktorische Kunst? Alles natürlich! Auf einer Meta-Ebene handelt dieser KUNSTFORUM-Band so auch von den utopischen Potenzialen, die olfaktorische Kunst eröffnet oder vom visuell zentrierten Kunstbetrieb stellenweise gar einfordert. Vielleicht suchen ihre Künstlerinnen und Künstler aber auch künftig ein ganz anderes Betätigungsfeld, eine andere, viel geheimere oder viel breitere Öffentlichkeit jenseits der bebilderten Welt. Nur darüber lesen bringt nichts, man wird es selbst erfahren müssen.

von Katharina J. Cichosch

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