Der Tod einer verdichteten Zeit
Über den Fälscherskandal, in dem es mitunter um die Gutachten des Max-Ernst-Experten Werner Spies ging, wurde vergessen, dass dieser Mann einer der wichtigsten Kunstschriftsteller unserer Zeit ist. Anlässlich seiner Erinnerungen „Mein Glück“ traf ihn Heinz-Norbert Jocks in Paris.
Werner Spies, am 1. April 1937 in Tübingen geboren, Ausstellungsmacher, von 1997 bis 2000 Direktor des Musée national d’Art moderne, Centre Georges Pompidou, publizierte zuletzt seine Erinnerungen „Mein Glück“. Ein großartiges und großes Werk, das von der Kritik wegen des sogenannten Fälscher-Skandals in seinem sowohl ästhetischen als auch inhaltlichen Wert nicht erkannt wurde. Heinz-Norbert Jocks traf sich mit Werner Spies bei Gallimard in Paris zu einem vertiefenden Gespräch, um den Blick stärker auf die hohe Qualität des Buches zu richten, welches im Grunde ein so erhellender wie melancholischer und auch humorvoller Abschied von einem Jahrhundert der Geister ist. Wie Claude Levi-Strauss in „Traurige Tropen“ das Verschwinden der alten Kulturen betrauert, so ist Spies erfüllt von der Sorge um das Vergessen dieser Geister.
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Heinz-Norbert Jock: Werner Spies, obwohl Sie das Psychologische ablehnen, haben Sie vor einigen Monaten Ihre Erinnerungen „Mein Glück“ vorgelegt. Da sprechen Sie über einiges, worüber Sie sonst nie geredet haben. Warum der Sinneswandel?
Werner Spies: Das stimmt: Ich habe nie über meine Kindheit gesprochen und es auch nicht gewagt. In meinen Augen war das eine Banalität, die niemanden interessiert. Doch im Laufe der Jahre wurde mir bewusst, dass ich ohne meine Kindheit das, was ich später gemacht habe, weder erklären noch begründen kann. Die Jahre der Kindheit und Jugend,…