Geniale Marktfähigkeit, oder: Die prekäre Autonomie der Kunst
Monika Mokre
Fast ein Jahrhundert lang wurde das Bild des Künstlers 1 in bürgerlichen Gesellschaften durch den Geniekünstler repräsentiert, der jenseits ökonomischer Zusammenhänge aus sich selbst schafft. In den letzten Jahrzehnten wurde dieses Rollenmodell (teilweise) vom „creative entrepreneur“ abgelöst. Die Ursachen und Folgen dieser Entwicklung sollen im Folgenden unter Rückgriff auf kritisch-selbstreflexive Kunstprojekte skizziert werden.
1. Das auratische Kunstwerk
Eine nackte, mit Marmorstaub bedeckte Frau steht im Lift der Manifesta 2, Young European Biennial 1998. Auf dem Boden ist um sie herum mit Kreide eine Begrenzung gezogen. Die AusstellungsbesucherInnen, die den Lift benützen, übertreten diese symbolische Grenze nicht. Sie werfen auch nur kurze Blicke auf das seltsame und deplatzierte Ausstellungsobjekt; ihre Blicke kreuzen sich über dem Kunstwerk.
Die Installation „Personal Space“ der serbischen Künstlerin Tanja Ostojic2 repräsentiert das auratische Kunstwerk, das unberührbar und in Distanz verbleibt. Zugleich trifft Ostojic eine Aussage über die Rolle der Frau in traditionellen Auffassungen von Kunst _ sie ist Teil des Werks, nicht Produzentin. Der Künstler ist männlich und ebenso distanziert von der Gesellschaft wie sein Werk; er verkörpert seit dem 19. Jahrhundert das Andere der kapitalistischen Gesellschaft und des homo oeconomicus, der Träger und Resultat dieser Gesellschaft ist.
Das Andere ist zugleich das Außen des Diskurses und tief in ihm eingebettet; es repräsentiert das, was der Diskurs nicht zulassen kann. Die liberale Demokratie gepaart mit Marktwirtschaft beruht auf einem Gesellschaftsbild, das die Gleichheit menschlichen Strebens in den Mittelpunkt stellt: Jede/r strebt nach individuellem Glück und findet dieses wesentlich in ökonomischem Wohlstand….