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Magazin: Publikationen · von Jürgen Raap · S. 483 - 483
Magazin: Publikationen , 1996

Kunst und Schamanismus

Über innere Grenzen, Initiation in Schamanismus, Kunst, Religion und Psychoanalyse

In seinem jüngsten Buch “Über innere Grenzen” leistet der Psychoanalytiker und Nervenarzt Hartmut Kraft nicht etwa nur aus dem Blickwinkel seiner beruflichen Tätigkeit eine “psychodynamische” Neudeutung der Initiationserlebnisse, wie sie in religiösen Überlieferungen und künstlerischen Selbstzeugnissen geschildert werden. Denn sein methodischer Schritt in Grenzbereiche unseres Wissenschaftsverständnisses führt vielmehr zu einer Korrektur der bisherigen medizinischen Interpretation des ethnologischen Fundus in Sachen Schamanentum: In vielen Jägerkulturen geschieht bekanntlich die schamanistische Selbstinitiation durch eine Berufung auf die Geister, und wenn die Berichte über “Jenseitsreisen”, über die Erlebnisse ekstatischer Entrückung, oft als delirisch-psychotisch interpretiert werden, so entsprächen solche Krankheitsannahmen einer westlichen Sichtweise. Anstatt also die “außer- gewöhnlichen Bewußt- seinszustände” ebenfalls schulmedizinisch als “psychopathologische Projektion” abzutun, geht Kraft der Frage nach, ob hier Strukturen bereitlägen, “die zwar aus der Phylogenese gespeichert sind, später jedoch blockiert wurden”.

Gleichwohl muß er einräumen, daß auf diesem Feld auch allerlei merkwürdige “okkulte und esoterische Phantasien” gedeihen, und angesichts der Neigungen mancher Beuys-Jünger zur unerträglichen Mystifizierung ihres Idols bedarf es durchaus des distanzierenden Hinweises, daß die “erste Initiationsstruktur” des Flugzeugabsturzes im 2. Weltkrieg mit anschließendem Gesundpflegen durch einen Tatarenstamm zu sehr mit einer Legendenbildung (auch schon durch Beuys selbst) behaftet ist. Tauglicher für Krafts Untersuchung ist da schon eher die “zweite Initiation”, eine depressive Krise, die Beuys in den fünfziger Jahren durchlitt, äußerlich ausgelöst durch eine geplatzte Verlobung, mit allen Merkmalen der Loslösung (hier: Rückzug aus bisheriger Lebensform in die Einsamkeit als Tiefenregression), der Wandlung (hier: Entwicklung eines neuen künstlerischen…

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