Hans-Dieter Fronz
Künstler und Propheten
»Eine geheime Geschichte der Moderne 1872-1972«
Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, 6.3. – 14.7.2015
An kaum etwas anderem war die Kunst der Moderne so wenig interessiert wie am Status quo. Die Wirklichkeit, so wie sie ist, genügte ihr nicht. Schon gar nicht hielten sich ihre Verfechter bei der realistischen Abbildung des Realen auf, dieser schalen Verdoppelung. Im Gegenteil: Noch ihre revolutionären Neuerungen in Bildsprache und Form geben sich als Absetzbewegung vom Gegebenen zu erkennen – Lichtkegel auf der Suche nach neuen, anderen Inhalten.
So war die Moderne von Beginn an zukunftsorientiert und ihr Fernziel ein künftiges Anderes als revolutionärer Umsturz der gegenwärtigen Verhältnisse; der Begriff Avantgarde übersetzt diese Orientierung lediglich ins Räumliche. Durch und durch fortschrittsgläubig, trat die Moderne mit einem utopischen Impetus und dem Anspruch auf, zur Verbesserung der Gesellschaft, ja zur eschatologischen Befreiung und Erlösung der Welt beizutragen; nicht bloß die russischen Konstruktivisten ließen sich politisch nur allzu gern vor den Karren einer vermeintlich guten Sache spannen. Vermutlich wäre der utopische, insgeheim religiös-chiliastische Gehalt der Moderne bei sorgfältiger Untersuchung an jedem einzelnen ihrer Protagonisten mindestens als Spurenelement nachweisbar.
Als eine frühe Ausprägung dieses Phänomens will nachgeradde eine künstlerische Bewegung im deutschsprachigen Raum erscheinen, der die Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main eine groß angelegte Ausstellung widmet. „Künstler und Propheten. Eine geheime Geschichte der Moderne 1872-1972“ schlägt ein bis dato unbekanntes Kapitel der deutschen und europäischen Kunstgeschichte auf. Es handelt von Künstlern, die sich ins Gewand von Propheten und Erlösergestalten hüllten, um ihrer Mitwelt ein irdisches Paradies in…