Thomas Kornbichler
Psychoanalytische Kunstinterpretation nach Freud
Als Freud seine psychoanalytischen Schriften zu publizieren begann, war die feine Welt der österreichischungarischen Doppelmonarchie schockiert. Der Außenseiter Freud, der seinen Ehrgeiz darein gesetzt hatte, in eben dieser feinen Welt Karriere zu machen, er konnte sein Außenseitertum nicht verleugnen und sah sich diese Gesellschaft von außen an. Was er dabei entdeckte, das waren verdrängte kollektive Innenwelten, die nicht ins Selbstbild der feinen Gesellschaft paßten.
Vor allem die Wissenschaft wehrte sich gegen Freuds Zumutungen. Anders die Künstler: sie, die sich zum Großteil aus Außenseitern rekrutieren, verstanden die Hintergründe, denen Freud auf die Spur gekommen war. Auf ihre Weise hatten Künstler wie Henrik Ibsen, Arthur Schnitzler und später die Surrealisten Verwandtes zum Ausdruck gebracht.
Freud blickte mitunter scheeläugig auf die Produkte künstlerischer Phantasie und philosophischer Intuition, denn in ihnen fand er nicht selten Erkenntnisse formuliert, denen er selbst in mühseliger wissenschaftlicher Kleinarbeit, im Gespräch mit seinen Patienten und in den Stunden der Selbsterforschung auf die Spur gekommen war. Aber nicht deshalb wurde Freud von der Kunst so sehr angezogen. Vielmehr war er ja selbst ein Künstler, der im schöpferischen Umgang mit der Sprache dem oftmals trockenen Wissenschaftsjargon die besten Seiten abzugewinnen verstand.
Nicht selten ist heute die Einschätzung zu hören, daß Freud gar nicht so sehr als Psychologe, sondern vielmehr als Schriftsteller, als Künstler, in Zukunft geschätzt werden wird. Diese Behauptung erscheint fragwürdig, doch wie an so vielem, ist auch in dieser Einschätzung ein Körnchen Wahrheit enthalten. Freuds reduktionistische Triebpsychologie mit ihrer Sexualmythologie gilt als überholt und wurde von seinen…