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Titel: Müllkunst · von Kerstin Stremmel · S. 128 - 133
Titel: Müllkunst , 2004

SIEGLINDE KLUPSCH
GANZ UNTEN

VON KERSTIN STREMMEL

Stillleben gehören zu einem etablierten Genre innerhalb der Fotografie, bekanntes Beispiel jüngerer Zeit sind vielleicht Irving Penns detailreiche Platinabzüge voll klassischer Vanitas-Symbole, wie Schädel oder verdorrte Früchte. Daneben gibt es etwa kunstfertige Arrangements von Zigarettenstummeln, die Penn durch sorgsam abgestufte Schwarzweiß-Aufnahmen gleichfalls erfolgreich ästhetisiert, um durch die Wahl seiner Sujets, nicht aber durch sein fotografisches Verfahren, Distanz zu seinen Werbeaufträgen unter Beweis zu stellen.

ESSEN ALS ABFALL

Doch neben dem spielerischen Umgang mit der obsolet gewordenen Grenze zwischen Werbung und Kunst gibt es andere, weniger kokette Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit Konsumgewohnheiten. Die Farbfotografien von Sieglinde Klupsch (geboren 1947 in Brebber, lebt in Paris) besitzen auch eine erzählerische Komponente. Sie sind entstanden auf Pariser Wochenmärkten in den Momenten zwischen Aufbruch der Marktleute und Ankunft der Straßenreinigung. Zwischen Paprika, Lauch und Orangen schwimmen Zigarettenstummel im brackigen Wasser, in dem sich noch genießbare Viktualien und Müll unterschiedlicher Art begegnen.

Die Bilder von Sieglinde Klupsch tragen keine Titel. Der Untertitel lautet marché-r, was die Bewegung der Künstlerin im städtischen Raum und das Ephemere ihrer Aufnahmen andeutet. Die durch Zufall entstandenen Arrangements sind nur von kurzer Dauer, bis die Müllabfuhr alles weggeschafft und blank geputztes Pflaster zum Flanieren hinterlässt. Nicht wahrscheinlich, dass auch nur einer sich die makellose Orange greifen, eine Tomate retten wird. Die Künstlerin findet ihre Motive auf dem Boden – ganz unten.

Zu Abfall wird ein Großteil aller Zivilisationsprodukte, fraglos auch Dinge, die noch benutzt werden könnten. Doch gibt es kaum ein eindrucksvolleres Zeugnis für die in Teilen der Welt herrschende…


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von Kerstin Stremmel

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