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Titel: Kunsturteil · von Annette Tietenberg · S. 72 - 87
Titel: Kunsturteil , 2015

Von Geschmack und Gefühl

Die Kunstausstellung als mediale Inszenierung des emotionalen Selbst
von Annette Tietenberg

„Immer dann, wenn wir mit irgendetwas sehr beschäftigt sind, dann stört uns ein leises Klopfen auf, und wir antworten, weil es so unprätentiös ist. Wir öffnen die Tür und sehen eine etwas heruntergekommene Figur, mit einem Gesicht wie der Tod und doch voller Güte. Immer wieder sind wir überrascht, dass da Marcel Duchamp vor uns steht, aber er ist es, und er ist immer schon drinnen, bevor wir es merken, und nach seinem Besuch, der nie sehr lange dauert, ist das Haus nicht mehr so, wie es früher war.“
Brian O’Doherty 1

Kunsturteil in der Kunstkritik

Wer darf Kunsturteile fällen? Der Künstler und der Kritiker, keiner sonst. 2 Das stand für Denis Diderot (Abb. 1) außer Frage. Im Jahr 1776 notierte er: „Das Gefühl für das Schöne ist das Ergebnis einer langen Reihe von Beobachtungen. Und wann hat man diese Beobachtungen gemacht? Zu jeder Zeit, in jedem Augenblick. Diese Beobachtungen befreien uns von der Analyse. Der Geschmack hat schon lange geurteilt, ehe er den Beweggrund zu seinem Urteil erkennt. Er sucht ihn zuweilen, ohne ihn zu finden, und bleibt doch bei seinem Urteil.“ 3

Folgt man Diderot, der gegen die verfluchten Amateure wetterte, die schreibend und potentielle Käufer umschmeichelnd im Feld der Kunst Anerkennung suchten, 4 entspringt das Kunsturteil dem Erfahrungshorizont des Kunstkenners. Ein Prinzipienreiter, der lediglich überprüfen kann, ob Motivwahl, Farbe, Materialbearbeitung und Komposition dem gültigen Regelkanon entsprechen, war aus Sicht Diderots außerstande, das Geheimnis der Kunst zu ergründen und…


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von Annette Tietenberg

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