Kolja Reichert
Autor und Kritiker
Kolja Reichert ist Redakteur beim Kunstmagazin Spike Art Quarterly und schreibt als Autor und Kritiker für verschiedene Zeitungen und Magazine (u. a. Welt am Sonntag, Der Tagesspiegel, Die Zeit, art). Katalogbeiträge. Vorträge zum „celebritive turn“. 2012 erhielt er den Preis für Kunstkritik der Art Cologne und der deutschen Kunstvereine.
Roland Schappert: Hat „gute Kunst“ auch mit Wahrheit zu tun, mit Erkenntnis von Gesellschaft oder anderen Phänomenen ihrer Entstehungszeit – jenseits kunstimmanenter Problemstellungen?
Kolja Reichert: Ja.
Welche Kriterien oder offenen Fragestellungen können heutzutage den symbolischen Wert oder ein begründetes Urteil über Kunst ans Licht bringen? Was macht Qualität aus?
Setzen kurz die Routinen der Wahrnehmung aus? Ist das eigene Bescheidwissen irritiert statt bestätigt? Kommt man ein zweites Mal? Verblassen andere künstlerische Gesten gegen das, was man gesehen hat?
Inwieweit hat ein Urteil über Kunst mit Geschmack zu tun?
Im Idealfall gar nicht. Die ganzen modernen Praxen der Kunst beruhen darauf, dass ein Urteil über Kunst nicht mit einem Geschmacksurteil zusammenfällt – auch wenn zwischen ihnen ein unauflösbares Spannungsfeld bestehen mag. Geschmack produziert modische Verschiebungen und Differenzen, Kunst formale und epistemologische. De gustibus non est disputandum. Über Kunst schon.
Wie ist eine Erkenntnis über gesellschaftliche oder andere nicht kunstimmanente Phänomene vermittelt in der Form bzw. dem Gebilde der Kunstwerke?
Auch die Form eines Kunstwerks fällt ja nicht mit dessen materieller Form zusammen. Sie liegt im Spannungsverhältnis, das die materielle Form mit bestehenden und möglichen künftigen Formen eingeht. Das passiert allerdings kaum, wenn das Werk sich buchstäblich auf seine Umwelt bezieht – wie es oft in sogenannter politischer…