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Fragen zur Zeit · von Michael Hübl · S. 34 - 39
Fragen zur Zeit , 2008

Michael Hübl
8,8 Blatt

Statistik, Kunst und der sich militarisierende Zeitgeist

Herzig, dieses Wien. Die Zeiten walzerseliger Annäherung der Geschlechter sind zwar grosso modo vorbei; allenfalls werden sie im Tourismus-Schmäh oder beim Opernball reanimiert. Und spätestens seit Ödön von Horváths “Geschichten aus dem Wienerwald” ist auch die schöne blaue Donau ihren biedermeierlich amourösen Zauber los. Dafür stoßen jetzt Fußgänger in der erweiterten Westpassage des Karlsplatzes auf eine elektronische Anzeige, die ihnen die “Zahl der Verliebten heute” mitteilt; am 29. Oktober um 11 Uhr stand sie bei 298631. Fast will es scheinen, als liege ein Hauch von Zärtlichkeit über diesen Ziffern.

Die – fortlaufend aktualisierte – Leuchtschrift gehört zu einer großräumig angelegten Medieninstallation von Ken Lum. Kernstück ist die titelgebende Zahl “Pi” (ð), die etwa für die Berechnung der Flächen von Kreisen oder der Volumina von Kugeln Verwendung findet. Zu ihren Besonderheiten gehört, dass sich bis heute 1 trotz intensiver mathematischer Anstrengungen in den Dezimalstellen kein Muster einer periodischen Wiederholung entschlüsseln lässt. Ken Lum gibt 478 Stellen hinter dem Komma an, wobei er in der offenbar gegen Unendlich strebenden Ziffernfolge eine Lücke lässt, damit am Ende der roten Leuchtdiodenreihe der jeweils neueste für ð errechnete Wert angezeigt werden kann. In einer Vitrine, die ebenfalls Teil der unterirdischen Wiener Stadtraumgestaltung ist, sind Fachbücher ausgelegt. In ihnen werden Fragen der Mathematik und der Statistik abgehandelt, die der kanadische Künstler als Agens für seine Arbeit nutzt. Parallel zu der sich dauernd ändernden LED-Anzeige der Zahl ð werden die Passanten auf insgesamt 14 Paneelen, die Ken Lum Factoids…


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