AMINE HAASE
Die Untrennbarkeit von Sehen und Denken
Leonardo da Vinci: Zeichnungen und Manuskripte
Metropolitan Museum, New York, 22.1. – 30.3.2003
Louvre, Hall Napoleon, Paris, 9.5. – 14.7.2003
Michelangelo: Zeichnungen des Louvre
Louvre, Aile Denon, Paris, 26.3. – 23.6.2003
Zeichnen ist eine andere Art von Sprache – wird immer wieder behauptet. Aber kann man die Linien eines Stifts auf Papier mit dem Klang einer Stimme im Raum vergleichen? Man kann es – im übertragenen Sinn, und dann ist die Zeichnung vergleichbar mit dem Formulieren der Gedanken beim Sprechen, frei nach Heinrich von Kleist. Die Zeichnung als metaphorisches Instrument ist für den, der Kunst und Sprache gleichermaßen liebt, ebenso faszinierend in der Vergangenheit wie in der Gegenwart. Zwei historische Beispiele führte der Louvre in diesem Frühjahr vor. Wer im Mai und Juni in Paris war, konnte dort Zeichnungen und Manuskripte von Leonardo da Vinci (1452-1519) in der Hall Napoléon sehen und, einige Säle weiter, Zeichnungen von Michelangelo (1475-1564) aus dem Museumsbesitz – ein ästhetisches Duell über Jahrhunderte hinweg zwischen zwei unerbittlichen Konkurrenten. Die Zeichnungen von Michelangelo zeigten sich als typische, wunderschöne Bildhauer-Zeichnungen, die von Leonardo fordern zu einem “Lob der Verzettelung” heraus, einem Lob auf nie zu stillende Neugier, auf einen untersuchenden Blick, für den die Welt eine Probebühne voll ungeahnter Möglichkeiten und Überraschungen ist.
So lässt sich eine Linie ziehen von den aus der Zeit der Renaissance stammenden Arbeiten bis heute. Leonardos Untersuchung der Welt geht bis an die Grenzen des Unsichtbaren; für die Kunst würden wir es heute Abstraktion nennen. Er zeichnet Wasser und…