Ein fliehendes Bild
Erzählungen von Wanderung, Angst, Grenze und die Irrealisierung des Weltbezugs
von Mark Terkessidis
Am Telefon ist die Redaktion Anne Will. Es geht um meine Teilnahme an einer Sendung mit dem Titel „Bürger verunsichert – Wie umgehen mit kriminellen Zuwanderern?“. „Sie hatten doch diesen Artikel im Tagesspiegel geschrieben, über die Zustände in Ihrem Kiez in Kreuzberg, den fanden wir interessant.“ Das Interesse kommt alles andere als unerwartet: Kurz nachdem der Artikel erschienen war, hagelte es Anrufe der gleichen Art – Markus Lanz, Maischberger, Hart aber Fair. Tatsächlich ging es in dem Artikel aber um eine sehr spezifische Gemengelage an meinem Wohnort in Berlin-Kreuzberg, auf die ich noch kommen werde. Die konnte ich öffentlich thematisieren, weil sie in die Chiffre „Köln“ passte. In der Silvesternacht 2015/16 war „Köln“ bekanntlich zu einem Kennwort geworden für eine angeblich aus dem Ruder geratene und zudem sexualisierte Gewaltkriminalität. Letztlich ist bis heute unklar, was in dieser Nacht genau geschehen ist. Immer noch stehen 1.222 Anzeigen 21 Ermittlungsverfahren gegenüber, und selbst einer Bund-Ländergruppe ist es nicht gelungen, exakte Informationen über die Täter und ihren Organisationsgrad vorzulegen. Dennoch wurden die Ereignisse schnell in ein Raster eingeordnet: „Fremde“ oder „arabische“ Männer verübten Übergriffe auf „weiße“ oder „deutsche“ Frauen.
Diese Trennung zeigte ein Titelbild von Focus, auf dem eine nackte Frau mit Abdrücken schwarzer Hände auf ihrem Körper zu sehen ist. Ähnliche Titelbilder gab es bei der liberalen Süddeutschen Zeitung (schwarze Hand im Schritt einer Frau) und sogar beim linken Wiener Stadtmagazin…