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Titel: Die oberflächlichen Hüllen des Selbst · von Sabine Fabo · S. 162 - 171
Titel: Die oberflächlichen Hüllen des Selbst , 1998

SABINE FABO
Ephemeriden – Mode, Kunst, Medien.

Strategien des Flüchtigen

“Ach! Jetzt waren nur noch Automobile da, von bärtigen Mechanikern gelenkt, neben denen ausgewachsene Diener saßen. Ich hätte gern die kleinen niederen, wie bloße Kränze wirkenden Damenhüte mit leiblichen Augen wiedererblickt, um festzustellen, ob sie noch so reizend waren wie in den Augen meiner Erinnerung. An Stelle der schönen Roben, in denen Madame Swann wie eine Königin aussah, sah ich nur griechisch-angelsächsische Tuniken nach dem Vorbild der Tanagrafiguren, manchmal auch im Directoirestil, auf gerafftem Libertychiffon, mit Blumen übersät wie eine Zimmertapete.”1

Die Flüchtigkeit der Mode, als wesentliches Element der Definition des Modischen, ist zwiespältig. Prousts Klage über eine Welt, in der es keine Eleganz mehr gibt, möchte die Mode seiner Zeit verewigen, den flüchtigen Duft von Odette Swann, ähnlich der epiphanischen Wirkung der Madeleines, für immer in der Erinnerung konservieren. Es ist der Versuch, einer schnellebigen Zeit Dauer zu entreißen, dort, wo die knatternden Automobile Virilios “Fahren, fahren, fahren ” auf den Pariser Boulevards vorexerzieren. Die Beschleunigung der Fortbewegung unterstreicht die Flüchtigkeit des Gesehenen, gegen die das Proustsche Erinnern versucht, anzugehen.

“Für alle die neuen Erscheinungen des Schauspiels fand ich in mir die Überzeugung nicht mehr, die ihnen feste Umrisse, Einheit und Dauer hätte geben können; sie zogen vereinzelt an mir vorbei; willkürlich, ohne Wahrheit, enthielten sie in sich kein Schönheitselement, das meine Augen wie ehemals hätten versuchen können, mit anderen zu verknüpfen.”2

Die Erscheinungen scheinen ohne Zusammenhang, wobei Proust sich der konstruktiven Arbeit seines Sehens als dem Ort, an dem Wahrnehmung und Erinnern zusammenkommen,…


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