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· von Michael Hübl · S. 290 - 295
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REPORT
Gigers Gesamtkunstwerk

Warum die Wohnung des Sachenmachers Heinz Frank erhalten werden sollte
von Michael Hübl

Federvieh, überall Federvieh, „unermeßliche Scharen von gackernden Hühnern“ bevölkern in Friedrich Dürrenmatts Komödie „Romulus der Große“ die Theaterszenerie. Hühner heißen im Elsässischen „Giggel“. Das hängt etymologisch mit „Gockel“ und mit einem Begriff zusammen, der außerhalb des bajuwarisch-österreichischen Sprachraums kaum bekannt sein dürfte: dem Gigerl. Gemeint ist ein Geck, ein Stutzer, ein Dandy.

Heinz Frank hat sich nicht wie Dürrenmatts weströmischer Herrscher mit Hühnerzucht beschäftigt. Vielmehr war er wohl der einzige Künstler, der sich bis in die letzten Lebensjahre rühmte, ausgebildeter Eletromechaniker zu sein. Kein Grund für ihn, im Blaumann aufzutreten: Auf einem Foto, das um 1970 in Wien entstand, zeigt sich der damals etwa Dreißigjährige in weißem Rollkragenpullover und weißem Jacket, dazu weiße Shorts und Strümpfe, die Knie samt einer Handbreit Bein ober- und unterhalb bleiben frei. Abgerundet wird das topmodische Outfit durch Budapester im zweifarbigen Derby-Style. „Gigerl“ ist auf Franks Website als Titel unter der Schwarzweißaufnahme zu lesen.

Mit der Bühnenfigur des Romulus verband Heinz Frank womöglich mehr als die Assoziationskette, die vom „Gigerl“ der ausklingenden Pop-Ära zu einem fiktiven spätantiken Hühnerhof führt. Dürrenmatt zeichnet einen Charakter, der bis an die Grenzen des Absurden geht, weil ihm die Realität, die er repräsentieren soll, suspekt ist. Also stellt er sie auf den Kopf. Für Frank war die greifbare Realität zumindest fragwürdig, also wert, in Frage gestellt zu werden. Und wenn er sie auch nicht auf den Kopf gestellt hat, so hat er sie doch auf den Kopf zurückgepolt,…

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